Der Mond im See
kleine Vertrautheit nicht übel. Schluckte und lächelte dann. Aber in Annabelles Gesicht, das ich gleich darauf mit einem kurzen Blick streifte, sah ich Unmut. Dabei hatte ich gar nicht, wie vorhin geplant, mit Absicht gehandelt. Es war eine spontane, ganz echte Regung gewesen. Nicht um Annabelle eifersüchtig zu machen, hatte ich das gesagt und getan – absurd, so etwas zu denken. Nur weil mir die junge Frau, so schön und so unglücklich, leid tat. Und weil ich den Jungen einfach mochte.
»Okay«, sagte ich, als René alles verputzt hatte, »das war ein ordentliches Männerfrühstück, damit läßt sich etwas anfangen. In Zukunft wirst du immer sagen, worauf du Appetit hast.«
Er nickte. »Ja, das mache ich.«
»Und jetzt gehen wir runter in den Park und schauen mal nach Amigo.«
»Wirklich?« Er wandte sich mit leuchtenden Augen zu seiner Mutter. »Darf ich, Mami?«
»Natürlich, Liebling.«
»Und du kommst mit und siehst ihn dir an?«
»Ja. Ich komme mit.«
»Gestern abend hat er mich noch besucht«, sagte ich und erzählte von Amigos abendlichem Imbiß. »Eigentlich«, ich sah Annabelle an, »könntest du als Tochter des Hauses mal in Verhandlung mit der Küche treten, ob die nicht jeden Tag für Amigo eine Schüssel Essen bereitstellen können.«
»Wie nett, daß du mir in deinen Plänen auch eine kleine Aufgabe zuweist«, bemerkte sie kühl.
Ich lächelte. Und dann sah ich, daß auch Renate lächelte.
Und ein wenig später, als wir zu dritt – Renate, René und ich – die Treppen zum unteren Teil des Parks hinabkletterten, sagte die schöne Frau zu mir: »Annabelle ärgert sich jetzt, das wissen Sie ja.«
»Sie hätte ja mitkommen können. Aber das wollte sie nicht.«
»Nein. Aber das macht gar nichts. Das ist genau die richtige Art, wie Sie sie behandeln. Wenn Sie ihr jeden Willen tun, werden Sie nicht viel Chancen haben. Soweit kenne ich sie. Es hat nie einen Mann für sie gegeben, der ein echter Mann war. Es wird ihr Glück sein, wenn sie jetzt einem begegnet.«
»Danke«, sagte ich. »Es wäre auch mein Glück, wenn ich sie glücklich machen kann.«
»Ich wünsche es euch beiden«, sagte Renate. »Ich kenne Sie ja erst kurz, jedenfalls persönlich, aber Sie gefallen mir. Vielleicht weil René Sie leiden mag, ich weiß es nicht.«
»Hoffentlich nicht nur deswegen«, sagte ich. Und dann wurde ich ein wenig verlegen, denn ich konnte mir nicht helfen, trotz meiner großen Liebe zu Annabelle, an der nicht zu zweifeln war, fesselte mich diese Frau an meiner Seite über alle Maßen.
»Geht's noch?« fragte ich René, der Hilfe abgelehnt hatte und mühsam mit seinen Krücken von Stufe zu Stufe hopste. »Oder soll ich dich die letzten hinuntertragen, und du läufst dann lieber unten ein bißchen?«
Er nickte. Ich trug ihn die wenigen Stufen noch hinab und stellte ihn behutsam hin.
»Nachher sollten wir mal versuchen, ohne Krücken zu laufen«, meinte ich. »Ein paar Schritte wenigstens. Ich werde dich stützen.«
»Der Arzt sagt auch, daß man es versuchen sollte«, sagte Renate. »Ich habe gerade vorher mit ihm gesprochen, als er kam, um René seine Spritze zu geben. Ich kannte ihn ja noch nicht, aber er scheint ganz tüchtig zu sein. Bißchen jung vielleicht noch.«
»Der Ruedi? Der ist bestimmt tüchtig. Und er ist so alt wie ich. Wir sind zusammen zur Schule gegangen. Sein Vater war schon der Doktor hier. Er ist ganz als Medizinmann aufgewachsen, ihm können Sie vertrauen.«
Amigo lag, genau wie gestern, in dem Gebüsch nicht weit von der Treppe entfernt. René rief ihn, er kam herausgekrochen, winselte vor Freude, als er den Jungen sah, blieb aber dann scheu stehen, weil wir dabei waren.
René ging allein ein paar Schritte weiter, setzte sich auf die steinerne Einfassung des Weges, Amigo setzte sich neben ihn, der Junge schlang die Arme um den Hund, und sie redeten aufeinander ein. Ja, es sah wirklich so aus, als habe auch der Hund dem Jungen viel zu erzählen. Er fuhr ihm sogar mit der großen Zunge übers Gesicht, was Renate neben mir zusammenschauern ließ.
»Aber das geht doch wirklich nicht. Das muß René ihm abgewöhnen. Das kann man doch nicht zulassen.«
»Nein. Das vielleicht wirklich nicht. Aber sonst sollte man den beiden ihren Spaß lassen.«
»Er sieht ja wirklich reichlich struppig aus.«
Das mußte ich zugeben. »Aber warten Sie ein paar Tage. Falls er es beibehält, abends zu mir zu kommen, und wenn ich ihn gut füttere, gelingt es mir vielleicht, sein
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