Der Mond im See
Brille abnehmen würde, fiele es mir vielleicht ein.
Der Kommissär verbreitete sich noch eine Weile über das Wetter in diesem Sommer. Bei der Mousse au chocolat war ich es schließlich, der das Gespräch auf den Mord brachte. Ob er schon weitergekommen sei mit der Untersuchung?
»Nicht viel«, sagte er. »Einen Charly Bondy kennt man in Bern bei der angegebenen Adresse nicht. Ich hatte es auch nicht erwartet. Jetzt läuft die Fahndung nach ihm in der Schweiz und im Ausland. Wenn das kleine Fräulein recht hat, so lebte er ja unter falschem Namen.«
»Sie haben mit Fräulein – äh, ich weiß gar nicht, wie sie heißt, ich weiß nur ihren Vornamen, Ilona, Sie haben mit ihr gesprochen?«
»Sie hatte es Ihnen erzählt, sie sagte es mir. Ja, wir haben uns an die Kollegen in Wien gewandt, vielleicht daß man von ihnen etwas erfahren kann. Freilich, es ist fast zehn Jahre her, seit dieser Bondy, nennen wir ihn mal weiter so, aus Ungarn kam. Immer vorausgesetzt, er ist derjenige, den Fräulein Ilona zu erkennen meinte. Nun muß man herausfinden, wo er in der ganzen Zeit war und was er getrieben hat.«
»Eine schwierige Sache«, meinte ich.
»Kommt darauf an. Manchmal sind solche Ermittlungen schwierig, manchmal auch nicht. Falls er vorbestraft ist, werden wir bald über ihn Bescheid wissen. Vermutlich auch über seinen Umgang. Dann wären wir schon ein gutes Stück weiter.«
»Sie meinen, der Grund für – für den Mord liegt in seiner Vergangenheit?«
»Ich meine vorerst gar nichts. Ich bin nur ziemlich sicher, daß der Grund nicht hier zu finden ist. Sein Mörder ist ihm nachgereist oder hat sich hier mit ihm verabredet. Und warum es gerade hier sein mußte, das ist etwas, was mir Kopfzerbrechen macht. Wilberg ist kein Ort, an dem sich Gangster treffen. Auch kein Ort, wo solche Leute Urlaub machen.«
»Sie halten es also nicht für möglich, daß der Mörder zur gleichen Zeit im Hotel gewohnt hat?«
»Es könnte natürlich sein. Wir überprüfen alle Gäste, die zu der Zeit dort gemeldet waren.«
»Wissen Sie, was ich schon gedacht habe – aber lachen Sie mich nicht aus –, ich dachte, es könnte sich um irgendeine Spionagesache handeln. Wenn der Mann wirklich vom Balkan kam. Ilona sagte, er habe sich damals schon mit seltsamen Geschäften abgegeben.«
»Immer angenommen, es ist derselbe Mann. Und was er damals gemacht hat, hatte offensichtlich mit Spionage nichts zu tun. Das würde in einem Flüchtlingslager wenig Zweck haben. Ich hatte den Eindruck, Fräulein Huszár dachte mehr an Schwarzhandelsgeschäfte.«
»Heißt sie Huszár?«
»Sie sagt es.«
»Aha.« Ilona Huszár, das klang irgendwie schneidig.
»Jedenfalls war sie damals noch ein Kind. Man müßte mit ihrer Mutter sprechen können. Aber die ist vor einem Jahr gestorben.«
»Und der Bruder? Ilonas Bruder, meine ich. Er hatte sich ja damals mit diesem sogenannten Bondy angefreundet.«
»Ihr Bruder ist in Amerika. Schon seit Jahren. Ja, das hilft uns alles nicht viel weiter. Mal abwarten, was die Kollegen in Wien herausbekommen. Diese Schokoladencreme ist wirklich ausgezeichnet. Obwohl ich so etwas gar nicht essen sollte. Es schadet meiner Linie.«
»Sie können es sich noch leisten«, tröstete ich ihn. »Verbrecherjagd wird ja heute nicht mehr zu Fuß vorgenommen.«
»Kann man nie wissen. Ist schon alles passiert.«
Wir bestellten Kaffee, ich nahm mir noch eine Zigarette, Kommissär Tschudi zündete sich eine Zigarre an.
Ich war fast ein wenig enttäuscht. Dieser ganze Mordfall nahm alles andere als eine dramatische Entwicklung. Dabei war eine so passende Kulisse gegeben. Ein feudales Hotel, eine Reihe von reichen Leuten, die dort wohnten, eine Leiche im Kammerli. Was würde ein fantasiereicher Kriminalautor daraus machen! Und was geschah? Gar nichts. Der untersuchende Kommissär speiste gemütlich und war besorgt um sein Bäuchlein. Und ich, der ich den Toten aufgefunden hatte, wurde nicht einmal verdächtigt. Nicht viel Staat zu machen mit diesem Kriminalfall.
Hartnäckig blieb ich beim Thema: »Ein Zufallsmord kann es nicht gewesen sein. Es ist einer hingekommen zu Bondy, hat eine Auseinandersetzung mit ihm gehabt und hat ihn getötet. Ob aus Wut oder aus Rache oder – nun vielleicht aus Eifersucht. Vielleicht war er ein Nebenbuhler.«
»Bondy war allein. Es befand sich keine Frau in seiner Gesellschaft.«
»Vielleicht hat er eine erwartet. Oder es war überhaupt eine Frau, die ihn tötete. Eine Frau, die er, sagen wir,
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