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Der Mond im See

Titel: Der Mond im See Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Danella Utta
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Zeitung las. Wie einer, dem jeder böse Gedanke fernlag. Auf keinen Fall wie ein Kriminalkommissär.
    »Keins davon«, antwortete er. »Ich esse jeden Mittag hier. Und als ich Sie sah, dachte ich, wir könnten zusammen essen und uns vielleicht ein bißchen unterhalten. Wenn es Sie nicht stört, heißt das.«
    »Ganz im Gegenteil, es ist mir ein Vergnügen.«
    »Sie waren allerdings so tief in Gedanken versunken, daß ich Ihnen vielleicht doch ungelegen komme«, wandte er nochmals höflich ein, und ich war direkt gerührt über soviel Feinfühligkeit bei der Kriminalpolizei.
    Ich nahm einen Schluck aus meinem Glas – die drei Dezi waren sowieso gleich zu Ende – und sagte: »Ich war wirklich tief in Gedanken versunken. Und wenn ich Ihnen sage, was ich gedacht habe, werden Sie sicher erstaunt sein. Vielleicht aber auch nicht. Ich habe nämlich darüber nachgedacht, ob es eine Möglichkeit gibt, aus meinem Vertrag bei meiner Firma herauszukommen und mir hier in der Schweiz eine Stellung zu suchen.«
    Als ich das ausgesprochen hatte, war ich viel erstaunter darüber, als es der Kommissär je sein konnte. Darüber also hatte ich nachgedacht? Das war der tiefere Grund meiner Lobpreisung der Schweiz gewesen? Und wenn ich dann ausnahmsweise einmal ganz ehrlich mit mir selber sein wollte, dann mußte ich mir eingestehen, der allertiefste Grund war Annabelles Weigerung, mich nach Indien zu begleiten.
    Oder doch nicht? Ob mit oder ohne Annabelle, wollte ich einfach hierbleiben, in diesem Land, in dem mir alles friedlich, freundlich und harmonisch erschien, in dem es so einen guten Wein gab und Kriminalkommissäre so reizende Menschen waren?
    »Sagten Sie nicht, Sie kämen aus Indien?« fragte mich Kommissär Tschudi.
    »Ja. Und mein Vertrag läuft noch auf zwei Jahre Indien. Dann winkt mir eine blendende Position bei meiner Firma in München. Aber offen gestanden habe ich Indien satt. Und ich habe festgestellt, daß es mir nirgends so gut gefällt wie hier. In meiner Heimat.«
    »Sie betrachten die Schweiz also als Ihre Heimat?«
    »Ja, wie sollte ich nicht? Ich bin hier aufgewachsen. Ich hätte das Wort Heimat in diesem Zusammenhang nicht gebraucht, wenn Sie mich vor einer Woche gefragt hätten. Aber seit ich wieder hier bin …« Ich hob die Schultern und lachte ein wenig verlegen. »Komisch, nicht?«
    »Nicht komisch. Sehr gut eigentlich, würde ich sagen. Zu wissen, oder besser noch zu fühlen, wo man hingehört, gibt einen festen Boden unter den Füßen. Gerade der moderne Mensch ist oft so heimatlos und darum so ruhelos und im Grunde unzufrieden. Auch wenn er es nicht zugeben will.«
    Die Saaltochter hatte ungefragt dem Kommissär einen Krug Wein gebracht, schenkte ihm ein, wir tranken uns zu; und ließen uns dann beraten, was man an diesem Tag essen solle. Es gäbe ganz junge, zarte Tauben, meinte die blonde Maid, »und die mögen Sie doch, Herr Tschudi, nicht wahr? Und vorher würde ich empfehlen eine Portion Spargel mit Butter. Es ist sowieso der letzte, nächste Woche geht es zu Ende mit dem Spargel. Und dann hat der Herr Bertelin heute eine Mousse au chocolat gemacht, aber schon ganz wunderbar, ich habe sie selber gekostet.«
    Kommissär Tschudi hörte sich das mit ernster Miene an, nickte mehrmals mit dem Kopf und fuhr sich auch zwei- oder dreimal mit der Zungenspitze über die Lippen. Das Menü fand seinen Beifall. Ich schloß mich an.
    Hatte ich geglaubt, der Kommissär würde die Gelegenheit benützen, mit mir von dem Mordfall zu sprechen und mir dabei vielleicht ein wenig auf den Zahn zu fühlen, so hatte ich mich getäuscht. Vielmehr interessierte es ihn, von Indien zu hören. Ob ich das Tadsch Mahal besucht hätte, wollte er wissen. Und ob es wahr sei, daß in Indien kein Tier getötet werde, allen voran die berühmt-berüchtigten Kühe nicht, und ob in diesem Zusammenhang das schlimme Gerücht der Wahrheit entspreche, man töte das Rindvieh zwar nicht, lasse aber die kleinen Kälbchen so lange in der grellen Sonne angebunden schmachten, bis sie verendeten.
    »Das ist leider wahr«, sagte ich. »Keiner der Gläubigen hat sich die Hand mit Blut befleckt, doch das Tier ist dennoch tot. Ein indirekter Mord, so könnte man es nennen. Und auf jeden Fall viel gemeiner als ein sauberer Stich oder Schlag.«
    Das fand der Kommissär auch. Um von dem traurigen Thema wegzukommen und uns den Appetit auf die Täubchen nicht zu verderben, begann ich von Rourkela zu erzählen. Ich konnte mit Zahlen aufwarten und

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