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Der Mond im See

Titel: Der Mond im See Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Danella Utta
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beeindruckte meinen Gesprächspartner mit der beachtlichen Kapazität der Industriestadt.
    »Das ist außerordentlich interessant«, meinte er. »Und Sie wollen wirklich nicht zurückkehren?«
    »Ich werde wohl müssen, Vertrag ist Vertrag. Und ich habe bei meiner Firma immer sehr günstige Arbeitsbedingungen gehabt. Es wäre nicht nett von mir, nun undankbar zu sein und mit einem Vertragsbruch darauf zu antworten. Zumal ich keine zwingenden Gründe habe. Eben gerade den einen, daß es mir hier so gut gefällt und daß ich gern hierbliebe.«
    »Verstehe. Aber zwei Jahre sind ja nicht sehr lang. Es wird Ihnen dann hier auch noch gefallen.«
    »Vermutlich. Es ist nur so merkwürdig, daß ich mir plötzlich einbilde, ich würde hier alles verpassen.«
    Der Kommissär schmunzelte. »Ich warne Sie. Das ist das erste Anzeichen des Alterns, wenn man das Gefühl hat, etwas zu verpassen. Dafür ist es bei Ihnen noch zu früh. Ich nehme an, es wird andere Gründe geben. Sehr verständliche sogar. Schöne Frauen warten heutzutage nicht mehr auf einen Mann. Eine Solveig werden Sie schwerlich finden, nicht einmal in der Schweiz.«
    Ich mußte lachen. »Ich sehe, Sie wissen Bescheid.«
    »Ein wenig, nur ein wenig. Was man sich so zusammenreimt.«
    »Und zusammenfragt.«
    »Nun, das ist mein Beruf. Ich muß Fragen stellen. Dazu kommt, daß Madame de Latour Ihnen sehr gewogen ist und Sie offenbar ganz gern als neuen Schwiegersohn sehen würde.«
    »Ihre Stieftochter denkt darüber anders.«
    »Im Ernst?«
    »Nach allem, was ich höre und sehe und beobachte – sie würde mich weder nach Indien begleiten, und eine Solveig, da haben Sie ganz recht, ist sie gewiß nicht.«
    »Nun ja. Sie haben Zeit, nicht wahr? Sie sind erst seit einigen Tagen hier, wie ich ja weiß. Vielleicht ändert die Dame Ihres Herzens ihre Meinung noch.«
    »Hm.« Sie würde sie nicht ändern. Es kam auch gar nicht darauf an, was für eine Meinung Annabelle über mich hatte. Nicht einmal darauf, ob sie mich liebte. Das mochte sie tun oder auch nicht. Sie würde auf keinen Fall mit mir nach Indien kommen. Und sie würde keine zwei Jahre auf mich warten. Das wußte ich ganz genau.
    Sie war hübsch und süß und außerordentlich reizvoll, sie war eine Frau, wie man sie sich bezaubernder nicht vorstellen konnte, aber sie war gleichzeitig eine Frau, in deren Leben immer nur einer an erster Stelle stehen würde: sie selbst. Das wußte ich auch.
    Auf einmal wußte ich es. Woher kam mir diese Klarheit? Sie hatte mir keinen Anlaß gegeben, das zu denken. Ein paar Tage nur, der Kommissär hatte ganz recht, ein paar Tage nur waren es, seit ich sie wiedergesehen hatte, vom ersten Augenblick an bereit, sie wieder zu lieben … Und jetzt auf einmal kam es mir vor, als sei es zu Ende, ehe es überhaupt richtig angefangen hatte. Ich resignierte. Und selbst wenn ich meinen Vertrag löste und mir hier eine Position suchte, würde das nicht viel ändern. Ich würde eine gute Position bekommen, ich würde anständig verdienen. Aber niemals so viel, wie Annabelle für ausreichend hielt, um einen Mann zu heiraten. In dem Leben, das sie führen wollte, war für mich kein Platz.
    Das Täubchen war ausgezeichnet gewesen, zart und jung, wie verheißen. Bis die Schokoladencreme kam, würde ich eine Zigarette rauchen. Und zum Teufel mit diesen düsteren Gedanken! Ich tat Annabelle unrecht. Sie liebte mich. Sie würde mich lieben. Und wir würden heiraten. Indien oder nicht Indien. Irgend etwas lag in der Atmosphäre, das mich so schwermütig stimmte.
    »Schwül heute, nicht?« sagte ich.
    »Es wird ein Gewitter geben«, sagte Herr Tschudi. »Schauen Sie nur, der Himmel ist ganz bleiern geworden. Bis zum Abend ist es passiert. Aber es wird gut sein, es war zu trocken in den letzten Tagen.«
    Ich nickte, ein wenig abwesend. Schon seit einiger Zeit irritierte mich der Mann am Nebentisch, der mir gerade gegenübersaß. Ich hatte ihn gesehen, als er hereinkam. Und schon da war es mir vorgekommen, als kenne ich ihn. Aber ich kannte ihn nicht. Er war mittelgroß, schlank, wirkte elegant in einem hellen Sommeranzug, hatte dunkles Haar und ein markantes Gesicht. Seine Augen konnte ich nicht sehen, sie wurden durch eine große Sonnenbrille verborgen.
    Ein Fremder? Nein. Kein Fremder. Ich hatte dieses Gesicht schon gesehen. Die Haut war sonnenbraun, glatt, sein Kinn energisch. Vielleicht ein Gast aus dem Schloßhotel? Hatte ich ihn dort gesehen, auf der Terrasse, in der Bar, im Bad? Wenn er die

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