Der Mond im See
eine Stunde, bis endlich der Regen kam. Ein wilder, maßloser Regen, der die Landschaft grau verhüllte und mich fast an den indischen Monsun erinnerte. Nur daß es hier kälter war. Die Luft kühlte sich sofort empfindlich ab, und die Fenster mußten wir bald schließen, nachdem wir eine Weile die Frische hereingelassen hatten.
Tante Hille entspannte sich erleichtert und studierte das Fernsehprogramm. Ein Quizabend vom Deutschen Fernsehen sei zu erwarten, teilte sie mir mit. Das sei immer sehr gelungen, ich nickte zerstreut. Denn das Problem: zu Hause bleiben oder ins Schloß hinübergehen, bewegte mich immer noch.
Wir aßen zu Abend, dann beteiligte ich mich eine Weile gutwillig daran, die mehr oder minder kniffeligen Quizfragen, die die unglücklichen Kandidaten gestellt bekamen, mit zu erraten. Tante Hille hatte zweifellos mehr Übung als ich. Ihre Antworten kamen prompt.
»Warum meldest du dich nicht mal für so etwas?« fragte ich. »Dieser Herr Kuhlenkampf könnte froh sein, so eine gescheite Person bei sich zu haben.«
»Akkurat«, stimmte mir das Gretli begeistert bei, »das sage ich dem Fräulein Gutzwiller auch immer. Sie weiß mehr als alle anderen.«
Tante Hille lächelte geschmeichelt. »Ich bin zu alt«, sagte sie. »Du siehst ja, das sind alles hübsche, junge Frauen, die dort mitraten dürfen.« Und selbstbewußt fügte sie hinzu: »Können tät' ich's schon.«
Ich wartete nicht ab, wer als Sieger das Feld verließ. So gegen Halbzeit etwa erhob ich mich, murmelte etwas vor mich hin und verließ das Wohnzimmer. Ging hinauf, zog mir ein Sakko an, schmückte mich mit einem Schlips und hing mir den Regenmantel um die Schultern.
Ich muß mal sehen, wie es draußen war, redete ich mir ein. Aber nach Amigo hatte ich nicht geschaut.
Draußen regnete es immer noch, sanfter jetzt, und Amigo war nicht zu sehen. Das Wetter war ihm wohl zu schlecht.
Ich lief rasch hinüber zum Schloß, inkonsequent wie Verliebte nun einmal sind. Der Nachtportier hinter seinem Pult begrüßte mich höflich, und ich tauschte ein paar Neuigkeiten über das Wetter mit ihm aus. Was mochte die arme Ilona an so einem Abend machen? Ob sie wenigstens ein hübsches Zimmer hatte? Das war anzunehmen. Im Park spazieren würde sie heute wohl nicht.
Ich hängte meinen Mantel an die Garderobe, warf einen Blick in das Restaurant, in dem fast niemand mehr zu finden war. Aber das Kaminzimmer war gut besetzt.
»Signore! Signore!« rief es hinter mir. Emilio kam strahlend angelaufen, eine große Tüte in der Hand. Er hatte offensichtlich schon auf mich gewartet. »Prego, Signore!« – »Oh! Grazie!« sagte ich. Ich bekam die Tüte, er die Fränkli, und wir nahmen gerührt für diesen Tag voneinander Abschied. Aber dann kehrte er noch einmal um. »Die Signora ist in Bar.«
»Danke, mein Sohn«, sagte ich.
Die Signora war also in der Bar. Und vermutlich nicht allein. Was tun? Ein bißchen kämpfte ich noch mit meinem Stolz, dann lenkte ich meine Schritte in Richtung Bar.
Die war an diesem Abend bumsvoll. Und das Trio, von dem ich schon gehört hatte, war trotz des Gewitters eingetroffen und gab muntere Töne von sich.
Auch Jonny entdeckte mich sogleich und wies schwungvoll zu dem Tisch gleich hinter seiner Theke. Da saß also meine Prinzessin, blond und lieblich anzuschauen, diesmal in Rosa gekleidet, mit nackten Schultern. Flankiert von zwei männlichen Wesen.
Ich zögerte, aber sie hatte mich bereits gesehen und winkte mir zu. Na gut! Würde mir mal diese Knaben ansehen.
»Wo steckst du denn eigentlich?« fragte Annabelle vorwurfsvoll. »Den ganzen Tag läßt du dich nicht blicken.«
Wie immer ich mir diesen Mann aus Paris vorgestellt hatte, der es so gut verstand, mit Frauen umzugehen – er war ganz anders. Nicht sehr groß, fast schmächtig, schwarzes Haar, ein sehr schmales unruhiges Gesicht mit lebhaften Augen und einen blasierten Zug um den Mund. Ein bißchen weichlich sah er aus, das fand ich jedenfalls. Aber ich war ja keine Frau und hatte vielleicht nicht den richtigen Blick für seine Qualitäten. Ich wunderte mich nur im stillen ein bißchen, was Annabelle an ihm fand.
Yves Marcheaud, so sein Name. Er erhob sich lässig, als Annabelle uns miteinander bekannt machte, verzog keine Miene zu ihren Worten, die mich als lieben alten Jugendfreund präsentierten.
Der andere Mann am Tisch, ein Amerikaner namens Bill Jackson, entsprach schon eher den Vorstellungen, die man sich von einem Ladykiller machte. Er sah aus wie aus
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