Der Mond im See
verärgert hat.«
Kommissär Tschudi lachte. »Ich sage immer, man soll Frauen nicht ärgern es bekommt einem schlecht.«
»Herr Baumer meinte allerdings, die Art der Tötung ließe auf einen Mann schließen. Eine Frau sei dazu nicht kräftig genug.«
»Baumer? Das ist doch ein Hotelgast.«
»Ein Kollege von Ihnen. Aus Deutschland.« Ich berichtete kurz über meine Unterhaltung mit dem Kriminalrat a.D. Das schien den Kommissär zu amüsieren. Er meinte: »Ich werde mit dem Kollegen einmal über den Fall sprechen. Falls er schon länger hier ist, hat er vielleicht etwas beobachtet.«
»Sie sollten auch mit der Krankenschwester sprechen. Mit ihr hat Bondy anscheinend ein wenig geflirtet. Sagt jedenfalls der Barkeeper.«
»Die Schwester, die den kleinen Thorez betreut?«
»Ja.«
»Sie kennen sie?«
»Flüchtig. Ich unterhalte mich manchmal mit dem Jungen, und gelegentlich ist sie dabei. Gestern zum Beispiel.«
»Was war gestern?«
»Ach, nichts, was zu diesem Fall gehört.« Ich erzählte von unserem Besuch bei den Seerosen. Und dann noch ein bißchen von René und Amigo. Kommissär Tschudi hörte sich alles geduldig an. Er war, fand ich, ein angenehmer Partner, zum Essen und zum Gespräch. Er ließ sich Zeit. Ob er den Mörder des Herrn Bondy je finden würde, das bezweifelte ich allerdings.
Das Lokal hatte sich mittlerweile geleert. Nur in einer entfernten Ecke saßen noch zwei Gäste. Und der Mann am Nebentisch, von dem ich meinte, ich müsse ihn kennen, war noch da. Er hatte ebenfalls gegessen und war beim Kaffee angelangt. Er las eine Zeitung, aber ich hatte den Eindruck, er höre uns zu. Unwillkürlich dämpfte ich die Stimme. Obwohl nichts Geheimnisvolles an meiner Geschichte von Schwester Dorette, René und den Seerosen war. Absolut nichts. Aber eins wußte ich genau: Ich hatte das Gesicht schon einmal gesehen. Ich war nahe daran, den Kommissär darauf aufmerksam zu machen, ihn zu fragen, ob er den Mann vielleicht kenne. Möglicherweise war es ein harmloser Bürger der Stadt A. Doch dann kam es mir albern vor. Eine Einbildung meinerseits, nichts weiter.
In der Ferne ließ sich ein leises Grummeln vernehmen. Kommissär Tschudi neigte lauschend den Kopf. »Hören Sie? Das Gewitter. Sie sollten machen, daß Sie nach Hause kommen.«
Wir schieden als gute Freunde. Und ich versprach, mich wieder einmal zum Essen im Storchen einzustellen.
An der Tür wandte ich mich noch einmal um. Der Fremde vom Nebentisch hatte die Zeitung sinken lassen und blickte uns nach.
Das Gewitter ließ sich Zeit. Der Himmel war weißlich-grau, die Luft drückend, kein Lufthauch rührte sich. Es war unerträglich heiß. Ich hatte das Verdeck meines Wagens heruntergeschlagen, und dennoch sammelte sich auf meiner Stirn Schweiß. So schwül war es. Manchmal wetterleuchtete es im Norden, und das leise Grummeln ließ sich hören. Das Gewitter kam aus der Ebene, das war ungewöhnlich in dieser Gegend.
Auch der See war bleigrau, wie ein Stein lag er im Tal.
Ich kam nach Hause, ohne daß ein Tropfen gefallen war. Tante Hille hatte sich hingelegt, Kopfschmerzen. Das war selten bei ihr.
Ich stellte mich unter die Brause, zog mich um und legte mich dann auf mein Bett. Ein kühles Bier hatte ich mir mitgenommen und ein Buch über die Schweizer Geschichte. Es stammte noch vom Großvater.
Ich las eine Weile darüber, wie Rudolf I. der Habsburger auf dem deutschen Kaiserthron, es geschickt und klug verstanden hatte, die stolzen Urner, denen ihre Unabhängigkeit und Selbständigkeit über alles ging, als friedliche Freunde zu bewahren, wie nach seinem Tode im Jahre 1291, als man sich nicht einigen konnte, wer deutscher Kaiser werden sollte, jener berühmte Bund geschlossen wurde, der den Beginn der Schweizer Eidgenossenschaft bedeutete; der Bundesbrief zwischen Uri, Schwyz und Nidwaiden, den Schiller ein halbes Jahrtausend später in so vollendete Worte gefaßt hatte: »Wir wollen sein ein einzig Volk von Brüdern …« Und ich gelangte bis zur Schlacht am Morgarten im November des Jahres 1315, in der die selbstbewußten Bauern und Landherren die kampfgewohnten Habsburger vernichtend schlugen. Dann zündete ich mir eine Zigarette an, nahm einen Schluck aus der Bierflasche und versank in Erinnerungen an meine Schulzeit.
Der Ruedi und ich, wir waren immer stolz auf unsere klugen und tapferen Vorfahren gewesen. Das Wort Freiheit klang uns gut in den Ohren. Und wir schworen uns zu, genau wie die Eidgenossen jener Zeit niemals Unfreiheit und
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