Der Mond im See
Annabelle fand sich nach einer Weile ebenfalls ein.
Jonny hatte eine große Tüte für mich, die Emilio bei ihm deponiert hatte.
»Wie ist es?« fragte Annabelle. »Essen wir zusammen?«
Eigentlich hatte ich keine Lust. Aber was sollte ich sonst schon tun? Zum Spazierengehen mit Renate war es zu spät. Aber vielleicht kam sie wenigstens zum Essen herunter.
»Alle zusammen?« fragte ich. »Im trauten Verein?«
»Ich kann die beiden Herren kaum wie unartige Kinder auf ihre Zimmer schicken, nicht? Zumal sie ja nicht unartig waren.«
»Nein? Sehr verwunderlich.«
Da es immer noch sehr warm war, beschlossen wir im Freien zu essen. Zuvor aber blieben wir noch auf einige kühle Drinks bei Jonny. Annabelles Anhang fand sich auch nach und nach ein, Bill, sehr elegant in einem weißen Dinner Jackett, mehr denn je erinnerte er an Hollywood. Ich bemerkte, wie Annabelle ihn wohlgefällig betrachtete.
Dazwischen ging ich nochmals in die Halle. »Nein« – Ilona hatte immer noch nichts gesehen und gehört.
»Wo ist die dumme Gans denn mit dem Jungen hingefahren«, sagte ich etwas beunruhigt. »Bestimmt hat sie wieder ein Rendezvous mit diesem Kerl. Hoffentlich paßt sie gut auf René auf.«
»Was für ein Kerl?« fragte Ilona, und ich erzählte von meiner Begegnung am Vormittag.
Ilona nickte.
»Das wäre schon möglich, daß sie diesen Mann getroffen hat und mit ihm auf einer Bank sitzt.«
»Und René fährt inzwischen mit seinem Rollstuhl ins Wasser, was?«
Es ließ mir keine Ruhe, ich machte noch einmal die Runde durch den Park, diesmal im Eilschritt. Nichts.
Auf der Terrasse warteten sie schon.
»Wo steckst du denn?« sagte Annabelle vorwurfsvoll. »Wir wollen essen. Und ich weiß nicht, ob wir nicht besser hineingehen, der Himmel sieht so komisch aus. Es gibt doch ein Gewitter.«
Ich berichtete kurz, daß ich René gesucht hatte.
»Aha«, sagte Annabelle, »das konnte ich mir ja denken. Du hast nichts anderes im Kopf als Renate.«
»Nicht Renate«, sagte ich ärgerlich. »René habe ich gesucht. Renate schläft.«
»So, sie schläft. Nun, du bist ja bestens informiert.«
Aber Annabelles Spott rührte mich nicht.
»Ich weiß es von ihrer Mutter. Eigentlich wollte Renate herunterkommen und mit uns Spazierengehen.«
»Laß sie schlafen, jetzt ist es sowieso zu spät zum Spazierengehen. Und ihre Mutter ist gerade vorhin hochgegangen, ich habe sie gesehen. Sie wird sich schon um dein Sorgenkind kümmern.«
Warum ich doch mit den dreien hineinging in das Restaurant und mich mit ihnen zum Abendessen niedersetzte – wider mein Gefühl –, ich weiß es nicht. Vielleicht waren Yves' ironisch hochgezogene Brauen daran schuld oder Bills verständnisloses Grinsen. Oder der kühl-spöttische Blick, mit dem Annabelle mich beobachtete – wie gesagt, ich weiß es nicht. Denn mein Gefühl verlangte, daß ich nochmals zu Ilona gehen und fragen mußte, ob René zurückgekommen sei, und wenn nicht, daß ich ihn suchen müßte. Aber lieber Himmel – es war noch heller Tag, und wie schnell das Gewitter kommen würde, ahnte ich nicht.
Und dann – es wäre sowieso schon zu spät gewesen. Aber das ahnte ich ja da noch nicht.
»Wo ist eigentlich Madame Hélène?« fragte ich Annabelle, denn ich hatte Madame den ganzen Tag nicht gesehen.
»Sie hat morgen in Zürich zu tun und ist schon hingefahren. Sie übernachtet in der Stadt.«
Während wir beim Essen saßen, kam das Gewitter. Es kam genauso wild und heftig wie am Tage zuvor. Es wurde stockdunkel. Der Sturm brauste über den See, es donnerte und blitzte. Als ich hinauslief in die Halle, kam mir Ilona schon entgegen. »Sie sind noch nicht zurück«, rief sie mir zu.
»Zum Teufel, ist das Frauenzimmer verrückt geworden?«
Wir gingen beide zu unserem Tisch.
»Bitte, entschuldige«, sagte ich zu Annabelle, »aber ich – René ist noch nicht da.«
»Mein Gott, Walter, sie werden irgendwo eingekehrt sein. Sie wird gesehen haben, daß das Gewitter kommt, und irgendwo …«
Und plötzlich kam die Großmama ins Restaurant. Sie sah blaß und verstört aus, sie zitterte.
»René ist nicht da. Und Renate …«
»Was ist mit Renate?« rief ich und ergriff die alte Frau am Arm, merkte, daß sie am ganzen Leib bebte.
»Sie ist so komisch. Sie schläft wie tot. Nicht einmal das Donnern hat sie geweckt.« Sie schluchzte auf. »Ich kann sie nicht wachkriegen.«
Annabelle und Ilona kamen mit. Wir liefen hinauf in Renates Zimmer. Und da wußte ich schon, wußte es mit
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