Der Mond im See
man hier nie sagen. Dazu kam aber noch, daß sich im Südwesten über dem Hügelkamm dicke gelbschwarze Wolken zusammengeballt hatten, auch die standen dort wie eingemauert. Man wußte nie, wie so was mal in Bewegung kam. Der Himmel gefiel mir nicht, ganz und gar nicht.
In der Halle war es still und leer. Ob Renate und René noch schliefen?
Ich ging wieder hinaus auf die Terrasse und setzte mich an einen der kleinen runden Tische vor Jonnys Bar, bestellte mir einen Whisky und plauderte ein bißchen mit Jonny.
»Kein freier Tag heute?«
»Bei dem Betrieb?« meinte er vorwurfsvoll. »Frei mache ich nur, wenn keine Kunden da sind.«
Hm. War mir immer schon aufgefallen, daß Barkeeper besonders fleißige Menschen sind. Fleißig, geschickt, meist mit guten Manieren und viel Menschenkenntnis. Manchmal geradezu Philosophen.
Eine halbe Stunde später ging ich wieder in die Halle.
Diesmal saß Ilona in der Rezeption.
»Freier Tag schon vorbei?«
»Ja. Wie war der Ritt?«
»Sehr schön. Aber ich habe Sie im Bad vermißt.«
»Wirklich?« Sie blickte mich ein wenig zweifelnd an. Es war wieder ihre Amtsmiene, die sie mir zeigte, aber doch nicht ganz so kühl wie früher. Gemeinsames Pferdeputzen bringt einander näher.
»Ich habe mittags noch mal gebadet«, sagte sie.
»Das hätten Sie mir ja auch mitteilen können.«
Sie lachte ein wenig und fragte dann: »Was kann ich für Sie tun?«
»Bißchen nett zu mir sein, morgen mit mir schwimmen gehen und mir jetzt sagen, ob Sie was von René gehört haben.«
»Er ist vor einer halben Stunde etwa mit seiner Pflegerin ausgefahren.«
»Vor einer halben Stunde? Aber da war ich hier. Da war kein Mensch hier zu finden. Sie auch nicht.«
»Ach, da habe ich gerade jemanden gesucht, der den Rollstuhl hinunterträgt. Der Hausdiener ist nämlich heute nicht da.«
»Das hätte ich ja machen können.«
»Hätten Sie. Aber Jeannot hat sich herabgelassen. Und dann soll ich Ihnen von Madame Thorez sagen, Sie möchten bitte auf sie warten, sie käme dann später auch herunter. Die Schwester bat mich, Ihnen das auszurichten.«
»Aha. So, so. Ich weiß zwar nicht recht, wie ich das verstehen soll. Schläft Madame noch? Und will sie zu den Seerosen gehen? Oder anderswohin? Und ist René zu den Seerosen unterwegs?«
»Diese Fragen kann ich Ihnen alle nicht beantworten. Die Schwester sagte nur, Sie sollten auf Madame warten. Von den Seerosen war nicht die Rede. Die Schwester sagte, sie wolle ein wenig im Park herumfahren. Was sind das eigentlich für Seerosen?«
»Kennen Sie sie etwa nicht?«
»Nein. Ist das ein Geheimnis?«
»Meine Privatbucht sozusagen. Die findet nicht jeder. Aber wenn Sie sich entschließen könnten, ein bißchen nett zu mir zu sein, nehme ich Sie mal mit und zeige sie Ihnen.«
»Ich bin doch nett zu Ihnen. Haben Sie Grund zur Beschwerde?« Sie sagte das sehr reizend, das spröde Ungarnmädchen, die hellgrauen Augen blickten mich unschuldig an, ein wenig Koketterie war erstmals auch im Spiel.
Ich nickte. »Manchmal schon. Da kam ich mir etwas sehr unpersönlich behandelt vor.«
»Mein Herr, wenn ich jeden Gast in diesem Hause ausgesprochen persönlich behandeln wollte, würde das meinen Pflichtenkreis erheblich erweitern.«
»Mein Fräulein, wenn Sie sich erst mal darüber klargeworden wären, daß ich nicht ein x-beliebiger Gast dieses Hauses bin.«
»Sondern?«
»Nun, eine Art Sohn dieses Hauses vielleicht.«
»Sie meinen wohl – Schwiegersohn?« Das kam ein wenig spitz, und gleich darauf errötete sie ärgerlich und fügte ein rasches: »Pardon, Monsieur!« hinzu, denn es war ja nun wirklich nicht ihre Art, allzu persönlich oder, wie in diesem Falle, ausgesprochen weiblich zu reagieren.
Und als ich fragte: »Haben Sie den Eindruck?«, hob sie die Schultern und sagte, wieder ganz geschäftsmäßig: »Es ist nicht meine Aufgabe, Eindrücke dieser Art zu sammeln.«
Ich wiegte anerkennend den Kopf hin und her. »Sie drücken sich wirklich gewählt aus. Aber Aufgabe oder nicht Aufgabe – irgendwelche Beobachtungen in dieser Richtung haben Sie offenbar gemacht, und ich muß sagen, es schmeichelt mir ungeheuer, daß meine bescheidene Person immerhin so viel Aufmerksamkeit bei Ihnen erregt hat, daß Sie sich Gedanken über meine eventuellen Familienverhältnisse machen. Tut mir direkt gut.«
Ihre Augen funkelten ein bißchen, halb ärgerlich, halb angeregt von dem Wortgeplänkel, und sie schien eine rasche Antwort geben zu wollen. Aber da betraten zwei
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