Der Mond im See
echte Gäste die Halle und hatten irgendwelche Fragen an die junge Dame, das rettete mich vor einem sicherlich spitzen Pfeil.
Ich konsultierte meine Uhr. Schon halb sechs. Renate schlief sehr lange. Aber ihre Mutter hatte ja gesagt, sie sei sehr müde und abgespannt. Ich mochte sie nicht gern stören. Andernfalls hätte ich einfach mal bei ihr anrufen lassen.
Die Halle hatte sich jetzt etwas belebt. Die Hausgäste kamen aus dem Bad, vom Tennisplatz, von Spaziergängen nach Hause, verlangten nach ihren Schlüsseln, um sich zum abendlichen Aperitif und nachfolgenden Dinner umzukleiden. Von den vorübergehenden Gästen hörte ich, daß nun doch wohl mit dem Gewitter zu rechnen sei.
Wirklich? Ich ging aus der Halle hinaus in den Schloßhof. Hier zwischen den Mauern der Einfahrt und unter der großen Akazie konnte man nicht viel vom Wetter sehen. Also ging ich ein paar Schritte vors Tor, die Landstraße entlang, bis ich einen einigermaßen freien Blick in die Landschaft hatte. Es stimmte, der Himmel sah nicht gut aus. Vom Norden her rückte es dunkel heran, und über die Hügel im Westen ballte es sich immer dichter zusammen. Es sah jedoch nicht so aus, als ob bald etwas passieren würde. Aber zu den Seerosen zu gehen, würde sich heute nicht empfehlen. Es war immerhin ein Weg von etwa einer halben Stunde.
Ich kehrte in die Halle zurück und fragte Ilona: »Die Schwester ist mit René im Park?«
»Ja.«
»Dann werde ich mal nach den beiden sehen. Falls Madame Thorez etwas hören läßt, wissen Sie ja Bescheid, wo ich bin. Ich lasse mich dann wieder bei Ihnen blicken. Und sagen Sie Madame, die Seerosen sollten wir besser auf morgen verschieben, es liegt ein Gewitter in der Luft.«
»Sehr wohl, mein Herr«, erwiderte Ilona kühl wie in früheren Zeiten.
Ich lächelte sie an. »Persönlicher, Fräulein Ilona, viel persönlicher. Denken Sie immer daran, fast ein Sohn des Hauses.«
»Ich werde versuchen, mich an diesen Gedanken zu gewöhnen.«
Am Durchgang zum Garten kehrte ich noch mal um.
»Eine Frage hätte ich noch: Haben Sie eigentlich jemals einen Mann in Gesellschaft dieser Krankenschwester von René gesehen? Ich meine, ein Freund von ihr oder so etwas Ähnliches?«
»Nicht daß ich wüßte. Einzig Monsieur Bondy hat sich öfter mit ihr unterhalten.«
»Hm.«
Aber nun kam sehr persönlich, sehr gezielt, die rasche Frage: »Sind Sie an dieser Dame auch interessiert?«
Und wie sie das auch betonte!
Aber sie brachte mich nicht in Verlegenheit. »Ich bin grundsätzlich an allen Damen interessiert, soweit es sich nicht gerade um Vogelscheuchen handelt.«
»Ja, das dachte ich mir schon.«
»Sie sind eben ein kluges Kind, es läßt sich nicht verheimlichen.«
Als ich über die Terrasse ging, lächelte ich vor mich hin. Man konnte mit diesem Ungarnmädchen eine gute Klinge schlagen. Machte ordentlich Spaß. Und Pferdeputzen und Reiten konnte sie auch.
Die Großmama kletterte soeben aus dem Liegestuhl. Sie hatte René und Dorette nicht gesehen. Ich erzählte, daß ihre Tochter offenbar noch schlafe.
»Das ist gut«, sagte sie befriedigt, »dann werde ich sie nicht stören. Sie hat kaum geschlafen, seit sie hier ist. Immer grämt sie sich um das Kind. Und …« Sie sprach nicht weiter, aber ich konnte es mir ungefähr denken, worum sich Renate noch grämen mochte.
Und du, dachte ich, Oma und Mutter, grämst dich um alles zusammen, um dein Kind, um ihr zerstörtes Leben, um den kranken Jungen. Ach ja, da hätte man nun gedacht, diese Mutter hat das Große Los gezogen: Die Tochter hat einen Millionär geheiratet. War auch verkehrt, wie so vieles im Leben.
»Ich werde mich auf die Terrasse setzen und Tee trinken«, sagte sie noch. »Ist zwar schon ein bißchen spät, aber dann kann Renate noch ein Stündchen schlafen.«
Amigo war in seinem Lieblingsgebüsch nicht mehr zu finden. Dann war also René vorbeigekommen.
Ich wanderte weiter, durch den ganzen unteren Schloßpark bis ins Bad, dann zurück zu den Ställen, kein René. Ich ging bis zum Durchschlupf, der aus dem Park hinaus ins Freie führte. Vielleicht waren sie doch zu den Seerosen gegangen. Aber niemand war zu sehen. Kein Amigo, kein René, keine Dorette.
Nachdem ich ungefähr eine halbe Stunde mit dieser Suche verbracht hatte, entschloß ich mich, ins Hotel zurückzukehren. Möglicherweise waren sie schon da.
Aber Ilona hatte nichts gesehen und nichts gehört. Ich entschloß mich zu einem weiteren Whisky. Die Bar war inzwischen gut besucht.
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