Der Mond im See
Bestimmtheit, daß etwas geschehen war.
Renate lag im Morgenrock auf der Couch, so als habe sie sich nur eben zu einem kleinen Nickerchen hingelegt. Aber sie schlief wie eine Tote, ihr Gesicht war totenblaß, sie atmete kaum hörbar.
»Ein Schlafmittel!« sagte Annabelle. »Sie hat ein Schlafmittel genommen.«
»Am Tage!« rief die Großmama. »Sie nimmt nie ein Schlafmittel am Tag.«
Ich rüttelte Renate, versuchte sie hochzuziehen, aber sie sank wie leblos zurück.
»Rufen Sie Dr. Lötscher an, Ilona«, sagte ich, »er soll sofort kommen. Und von unten sollen sie uns einen starken Mokka heraufschicken.«
Ich hob Renate auf, setzte sie in den Sessel, bewegte ihre Arme und versuchte sie wachzukriegen. Annabelle brachte einen nassen Waschlappen, mit dem sie ihr Gesicht befeuchtete. Hatte sie das absichtlich getan? Wollte sie etwa –? Nein, Unsinn. Sie würde sich nicht hier in Anwesenheit ihrer Mutter und ihres Kindes das Leben nehmen.
Wenn sie ein so starkes Schlafmittel genommen hatte, daß sie derart benommen war, so hatte – ja, so hatte sie es nicht freiwillig genommen. Das war mir klar. Und nur einer konnte es ihr gegeben haben – die Pflegerin. Und dann war René … Um Gottes willen, wo war René?
Einmal schlug Renate die Augen auf. »Ja …«, murmelte sie, »ja …«
Ich schüttelte sie, stellte sie auf die Beine. »Renate! Wachen Sie auf! Renate! Hören Sie mich!«
Mühsam öffnete sie die Augen. »Ja? Was ist denn?« Dann fielen ihr die Augen wieder zu.
Die Großmama sank in einem Sessel zusammen und weinte. Annabelle stand ratlos neben mir. Nur Ilona war eine Hilfe. Sie kam zurück. »Der Mokka kommt gleich. Dr. Lötscher ist nicht da. Seine Mutter sagt, er ist zu einem Besuch weggefahren, aber sie wird versuchen, ihn zu erreichen.«
»Gut. Ilona, nehmen Sie Renate auf der anderen Seite. Wir müssen mit ihr auf und ab gehen, sie muß sich bewegen.«
Wir nahmen Renate auf beiden Seiten unter den Arm und schleiften sie durch das Zimmer, hin und her. Die Großmama starrte uns entsetzt an.
»Renate!« rief sie. »Renate! Komm doch zu dir!«
Die Stimme ihrer Mutter wirkte.
»Ja? Mama? Was ist denn?«
Wir redeten alle durcheinander auf sie ein, versuchten sie vollends wachzukriegen. Dann kam Gott sei Dank der Mokka, und wir flößten ihr das heiße, starke Gebräu ein. Danach ging es – sie sah uns an, gab vernünftige Antworten.
Sie habe kein Schlafmittel genommen, nein. Und sie verstehe gar nicht, warum sie so fest geschlafen habe. Weiter kam sie noch nicht. Glücklicherweise. Denn jetzt wurde es gefährlich. Ich hätte ihr gern verschwiegen, daß René nicht da war. Und auch die anderen empfanden genauso.
»Haben Sie irgendeine andere Tablette genommen, Renate?« fragte ich sie.
»Ja, eine Kopfwehtablette.«
»Was für eine?«
»Oh, ich weiß nicht. Dorette gab sie mir.«
»Na, es scheint«, sagte ich in möglichst harmlosem Ton, »die gute Dorette hat die falsche Schachtel erwischt. Jetzt passen Sie auf, Renate, versuchen Sie wach zu bleiben, trinken Sie den Kaffee aus, unterhalten Sie sich mit Ihrer Mama – nur einschlafen sollten Sie nicht wieder. Ich muß hinunter zu René.«
»René? Wo ist er denn?«
»Er speist heute mit mir im Restaurant. Abwechslung muß mal sein. Keine Bange, ich paß schon auf, daß er nur leichte Sachen ißt. Und wir dachten, er erschrickt vielleicht, wenn er Sie hier so sieht.«
»Natürlich. Danke schön. Ich weiß gar nicht – oh, mein Kopf – sollte ich nicht …«
Die drei Damen betrachteten mich wie hypnotisiert, keine ließ einen Laut hören.
»Sie sollen gar nichts. Sie haben irgendein unpassendes Mittel genommen und müssen vor allem sehen, daß die Nachwirkungen verschwinden. Ihre Mama und Annabelle werden Ihnen dabei helfen. Hier ist doch ein Radio, wie ich sehe. Macht ein bißchen Musik, aber möglichst laut. Und bestellt noch einmal Kaffee. Ich hoffe, Dr. Lötscher wird bald kommen, der wird Ihnen dann sagen, was Sie am besten tun.«
»Aber ich brauche doch gar keinen Arzt.«
»Besser ist besser.«
»Aber René …«
»Ich kümmere mich um ihn. Keine Sorge.«
Das ›keine Sorge‹ war mir schwer über die Lippen gegangen. Ich blickte die beiden Frauen beschwörend an. Die Großmama sah aus, als fiele sie gleich in Ohnmacht, aber sie bemühte sich zu lächeln. Annabelle biß sich auf die Lippen, aber sie nahm sich zusammen.
»Geh nur«, sagte sie leichthin zu mir, »kümmere dich um René. Wir werden Renate schon
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