Der Mond ist nicht allein (H´Veredy Chroniken) (German Edition)
jedenfalls.
„Hör mal Freundchen! Mach endlich Augen und Ohren auf. Benutz dein verdammtes Hirn! Schau mich an! Welche Gilde könnte mich geschickt haben? Dreimal darfst du raten.“
Natürlich erkannte der Wachhabende seinen Fehler sogleich. Verenas sonnenbraune Haut war mit einer Waldläufermischung von Pflanzensäften gepflegt worden und schillerte leicht in allen Regenbogenfarben. Auch ihre langen schwarzen Haare hatten einen ganz besonderen Glanz. Sie hatte sich zwar neu eingekleidet, jedoch änderte das nichts daran, dass das rohe und besonders robuste Leder auf berufsmäßiges Reisen durch den Dschungel hinwies. Alle sichtbaren Hautpartien waren von vielfach sogar recht frischen Narben übersät. Ihre Haltung drückte zwar kaum besonderes Selbstbewusstsein aus, aber das war bei Waldläufern mitten in der Stadt selten der Fall. Vielmehr waren ihre Blicke leicht gehetzt, als suche sie nach dem vertrauten Dschungel, der von Waldläufern paradoxerweise mit einem Gefühl der Sicherheit in Verbindung gebracht wurde. Alle anderen Menschen, selbst Dschungelbauern, sahen darin hauptsächlich eine tödliche Bedrohung, der es zu entfliehen galt.
„So nicht, junge Dame! Nicht in diesem Tonfall! Erklärt mir, was Ihr von Constantin wollt, sonst werde ich Euch verhaften. Euer aggressives Verhalten ist angesichts dessen, was hier passiert ist, ausgesprochen verdächtig.“
Mist … ´angesichts dessen, was hier passiert ist´ … wenn das mal nicht eine Umschreibung dafür ist, dass dieser Konstantin umgebracht worden ist. Wenn ich es mir genau überlege: Die werden dieses Grundstück nicht aus Lust und Laune abgesperrt haben. Wenn Konstantin tatsächlich tot ist, muss ich wieder nach dem Zahnarzt suchen, von dem es hieß, er sei auf einer langen Hausbesuchsrunde in benachbarte Dschungeldörfer. Bei meinem Glück hat er sich unterwegs vom Dschungel holen lassen. Was ist nur aus meiner Geduld geworden?
„Entschuldigt bitte, ich glaube, ich war sehr unhöflich. Ich bin Verena. Verena, die man auch H´CainiSant nennt. Die Waldläuferin, die ihr Handwerk bei H´Barwarin, dem Meister aller Ebenen gelernt hat. Bald wird man sich erzählen, dass ich binnen Jahresfrist ein Drittel dieser Welt umrundet habe, weil ich hörte, hier gäbe es Landsleute von mir. Konstantin! - Constantin soll, so lauten die Gerüchte, aus meiner … Heimat kommen. Deswegen will ich ihn sehen. Möglichst sofort!“
„Wa … was? Ihr wollt behaupten ihr wäret H´Verena? Es heißt doch, der Dschungel hätte Euch heimgeholt! Ich habe das erst neulich meinen Kindern vorgelesen. Meine Güte, haben die Rotz und Wasser geheult. Ich ….“
„Ja, ja. Aber was ist mit diesem Constantin?“, unterbrach Verena brüsk und hüpfte sogar auf einem Bein.
Kurz darauf rannte sie ohne eine Pause durch die ganze Stadt. Sie drängelte sich durch den belebten Neustadttunnel, eilte durch die weiträumigen Parkanlagen dahinter und strebte, der Wegbeschreibung des inzwischen viel auskunftsbereiteren Polizisten folgend, der anderen Talseite zu. Am Fuß der Steilwand, die zum Familiensitz des verstorbenen Selljin führte, machte sie Halt, um sich an einer öffentlichen Wasserstelle zu erfrischen. Kurz darauf stand sie am Fuße der gewaltigen Aufzuganlage. Sie sah die langsam herauf und herabfahrenden, für ihren Geschmack viel zu beengten Kästen und verzog angewidert das Gesicht. Stattdessen wandte sie sich den Treppen zu, die zumindest frei von menschlichem Gedränge waren.
*
„Vilana! Du glaubst nicht, wer hier am Tor steht!“, rief sie einer ihrer Cousins wach.
Vilana hatte sich eine Weile hingelegt und war froh gewesen, endlich einmal wieder Schlaf zu finden. Für H´Verena, die berühmte Waldläuferin, war sie aber jederzeit bereit, sich den Schlaf aus den Augen zu wischen. Sie tanzte förmlich um ihren berühmten Gast herum. Vor lauter Aufregung konnte sie nur dummes Zeug daherquasseln und dachte nicht einmal an die Möglichkeit, dass Constantin nicht im selben Maße darüber erfreut sein könnte.
Vilanas aufgedrehte Stimme lockte gleich Venigara und Cenimnir herbei, die ebenfalls ein Nickerchen gehalten hatten.
„Du weinst ja, Vilana“, konstatierte Cenimnir das Offensichtliche.
Was soll ich auch sonst tun, dachte die Angesprochene aufgewühlt. Erst wird mein Vater ermordet. Dann wird eine meiner besten Freundinnen von ihrem Gefährten getötet, der mein bester Freund ist. Der beste Freund sitzt deswegen geistestot nebenan. Die beste
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