Der Mond ist nicht allein (H´Veredy Chroniken) (German Edition)
gegangen und sicherlich bald gestorben. Welche Chance hatten sie da schon …?
So dachte Verena in einem der Momente, in denen sie mit ihren Gedanken allein und ihre Stimmung ohnehin auf dem Tiefpunkt war. Allerdings war sie tatsächlich eine Andere geworden. Früher hätte sie sich in die Verzweiflung gestürzt und wäre in Selbstmitleid versunken, hätte sich schließlich für genau diese Reaktion nur noch mehr gehaßt. Jetzt schimpfte sie sich stattdessen laut selbst aus: „Du blöde Kuh! Aufhören!“
Dann suchte sie sich Barwarin, erzählte ihm einfach von ihrem Gedankengang und fragte ihn nach seiner Sicht.
„Da hast du viel Wahres erkannt!“, erklärte er zu Verenas Überraschung und anfänglichen Empörung entschieden. „Manchmal kann man durch schlimme Taten etwas noch viel Schlimmeres verhindern. Richtig. Aber es war trotzdem falsch, dass ich CAveedo geschlagen habe, und ich glaube auch nicht, dass Gewalt dir damals geholfen hätte, als dich dieser Xernd gequält hat. Man muss sich eben sehr sicher sein, dass Gewalt nötig ist. Sonst tut man nämlich einfach nur Falsches, ohne am Ende eine Besserung zu erwirken. Der eigentliche Ausweg wäre damals gewesen, wenn du jemand anderes gewesen wärest, jemand der sich durchsetzen kann. Was du bei deiner trüben Trauerrede übersehen hast, ist Folgendes: Wärest du jemand anderes gewesen, hättest du damit vielleicht diesen Xernd verändert. Das heißt nicht, dass du selbst deswegen ein besserer Mensch gewesen wärest. Es heißt nur: Das wärest überhaupt nicht du gewesen. Viel wichtiger ist, dass du dich geändert hast. Ich bewundere dich nicht zuletzt für die Stärke, mit der dir das gelungen ist. Dass dieser Xernd jetzt wahrscheinlich hinüber ist, kann ich nicht bedauern. Na ja, ein wenig doch. Ich werfe mir immer wieder vor, dass ich viel zu weich bin und selbst für die schlimmsten Kreaturen, die sich Menschen schimpfen, noch etwas empfinden muss. Wenn diese Mira tatsächlich so unglücklich gestorben sein sollte, ist das schlimm, aber keineswegs allein oder hauptsächlich deine Schuld. An den Toten können wir sowieso nichts mehr ausgleichen, was wir vielleicht falsch gemacht haben. Sollte sie durch einen unwahrscheinlichen Zufall doch noch leben, kannst du sie vielleicht immer noch irgendwann für deinen kleinen Teil der Schuld entschädigen.“
*
Durch einen unwahrscheinlichen Zufall war Bernd noch am Leben, und Mira war auch nicht tot. In Miras Fall war es aber damals sehr, sehr knapp gewesen. Sie sollte dankbar sein, dass sie noch lebt und sich nicht dauernd über ihr schlimmes Schicksal beschweren. Klar tut sie mir leid, aber immerhin habe ich sie gerettet. Da wären etwas mehr Dankbarkeit und deutlich weniger Vorwürfe angebracht, schimpfte Bernd in Gedanken.
Erinnern wir uns: Bernd und Mira stürzten nach einem Angriff von Eingeborenen tief hinab, landeten aber weich. Dann verlor sich ihre Spur. Was war damals weiter geschehen?
Bernd und Mira konnten an dieser Stelle nichtmehr zu ihren Freunden zurückklettern und bewegten sich stattdessen seitwärts in das tiefe Unterholz hinein. Dort dauerte es keine fünf Minuten, bis sie sich unrettbar verirrt hatten. Sie brauchten einen halben Tag, um wieder in die oberen Schichten des Waldes vorzudringen. Doch von dem Ort wo sie und ihre Gefährten angegriffen worden waren, war weit und breit nichts zu sehen gewesen. Folglich waren sie mangels einer Alternative zu zweit losgezogen. Für Mira war die Situation weniger schlimm als zuvor. Nachdem Bernd einmal von Verena herausgefordert worden war, konnte dieser die Unterdrückung Miras vor sich selbst nicht mehr rechtfertigen. Für Bernd hatte es ohnehin nur Sinn gemacht, Mira zu unterdrücken, solange er sich dadurch die Herrschaft über die Gruppe sicherte. Jetzt gab es diesen Verbund nicht mehr. Statt sie zu drangsalieren, eignete er sich ihr Gegenüber eine gleichgültige Haltung an. Da aber die Situation nicht zuließ, sich dauernd anzuschweigen, entwickelte sich in kürzester Zeit ein sachliches, wenn auch kühles, distanziertes Verhaltensmuster zwischen ihnen. Mira begriff langsam, in welche Lage sie sich da von Bernd in den letzten Tagen hatte bringen lassen und, mit welchen Mitteln das geschehen war. Bernd war nicht ihr strenger Vater [51] oder dessen Vertreter, sondern einfach nur armselig.
Im selben Maße wie ihr diese Erkenntnis nicht nur bewusst wurde, sondern ihr Unterbewusstsein erreichte, kam auch ihr Selbstvertrauen
Weitere Kostenlose Bücher