Der Mond ist nicht allein (H´Veredy Chroniken) (German Edition)
Aber die Möglichkeit, dass es einmal so weit sein könnte, war immer ein Teil von meinem Leben. Es fällt mir nicht leicht, das zu verlieren. Andererseits weiß ich sicher, dass ich Waldläuferin und nichts anderes sein will. Ich will mindestens so weit herumkommen wie Barwarin. Eigentlich war mir schon klar, dass ich sowieso keine Kinder bekommen kann, ohne mich von diesem Traum zu verabschieden. Ein Waldläufersprichwort sagt: ´Wenn du nach Osten willst, beschwere dich nicht, dass der Weg nach Westen versperrt ist´. Aber nur weil diese Einstellung vernünftiger ist, heißt das nicht, das es nicht wehtun würde ….“
Verena kam letztlich erstaunlich gut mit der Nachricht zurecht, vielleicht auch, weil Barwarin ihr erzählte, dass Waldläufer manchmal Kleinkinder adoptierten, um sie ihr Handwerk zu lehren. Regelrechte Waldläuferfamilien mit Vater, Mutter, Kind seien dagegen selten. Wenn überhaupt traf man eher noch deutlich größere Familienverbände, die selbst Babys durch ihre größere Zahl zu schützen wussten. Das stellte natürlich eine ganz andere Art der Waldläuferei dar.
In den nächsten Tagen blieb Verena an das Gelände der Gilde gebunden, weil sie es wegen des immer noch juckenden Sonnenbrandes nicht ausgehalten hätte, sich den vielen Menschen in einer Stadt zu stellen. Doch ihre Tage waren mehr als ausgefüllt mit dem Bestreben, richtig lesen zu lernen, ihrem Rehabilitationstraining und den langen Gesprächen mit den wechselnden Waldläufern und Waldläuferinnen im Gildenhaus. Verena wurde in dieser Zeit offiziell in die Gilde aufgenommen. Bei alldem war sie stets gespannt, wie es wäre, sich mit Barwarin in der eigentlichen Stadt umzusehen und dort die beste nur mögliche Waldläuferausstattung einzukaufen. Genauso erpicht war sie darauf, endlich in den Dschungel zurückzukehren, der für sie mittlerweile die einzige Welt war, die ihr nicht wenigstens etwas leer, hohl und farblos erschien.
Dabei war das Gildenhaus an sich ein recht angenehmer Ort. Durch die große Höhe waren die Lufttemperaturen niemals so drückend wie unten im Dschungel. Es gab die bequemsten Betten und Sessel, und die Regenwasserzisternen sammelten genug Wasser, ein kleines Schwimmbad damit zu füllen. Die Nachmittagsgewitter auf diesem Felsturm zu erleben war ein besonderes Naturspektakel, das für Verena längst alles Beängstigende, aber nichts von seiner Faszination verloren hatte. Und bei gutem Wetter konnte man die großen Räuber der Lüfte, hinter dicken Mauern vor ihrem Zugriff geschützt, aus unmittelbarer Nähe betrachten, wie sie ihre Runden um das alte Gemäuer zogen. Da die Gilde in der Stadt eine weitere Geschäftsniederlassung unterhielt und dies wirklich nur Gästehaus und Stammsitz war, gab es hier immer nur eine mäßige Zahl an Waldläufern, einige Bedienstete, aber fast niemals irgendwelche Stadtmenschen. Man war unter sich und konnte sich auch ganz gut aus dem Weg gehen. Im Wald hatte Verena sich schon durch CAveedos Anwesenheit eingeengt gefühlt. Hier, wo es getrennte Räume und so etwas wie Privatsphäre gab, störten die ´vielen´ Leute nicht. Allerdings verstehe ich immer besser, warum Barwarin CAveedo den Arm gebrochen hat. Es muss entnervend genug sein, dass hier jeder immer wieder deutlich macht, für wie verehrungswürdig er oder sie meinen Barwarin hält. Aber CAveedo hat so eine Art, es damit zu übertreiben. Bevor Barwarin ihn verdroschen hat, muss das noch schlimmer gewesen sein. Meine Güte! Es ist ein reines Zeichen von mangelndem Selbstwertgefühl, jemanden so zu vergöttern. Wenn das solche Aggressionen hervorrufen kann, … frage ich mich natürlich, wie die Leute mich selbst früher ertragen haben, ohne mich ständig zu hauen. Ich muss für viele ganz unerträglich gewesen sein. Mir konnte niemand einfach den Arm brechen, um den Frust loszuwerden. … Ich frage mich, was ich damit damals stattdessen alles über mich heraufbeschworen habe. Jetzt begreife ich erst, was meine Mutter gemeint hat, wenn sie mir vorgeworfen hat, ich ermutige Bernd zu seinem miesen Verhalten, weil ich mich so in die Opferrolle füge! Durch mein Verhalten und meine Einstellung habe ich mich vielleicht mitschuldig daran gemacht, was Bernd für ein Monster geworden ist. Ich hätte es in der Hand gehabt, mich zu wehren. Und wenn ich ihm den Arm gebrochen hätte, der Schaden wäre wohl niemals so groß geworden wie jetzt …. Ich habe sogar zugelassen, dass er Mira brechen konnte. Dann sind sie verloren
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