Der Mond ist nicht allein (H´Veredy Chroniken) (German Edition)
in voller Fahrt ein fremdes, mittelgroßes Segelschiff in die Bucht hineinrauschte. Dabei hatte es schwer gegen die Gezeitenströmung anzukämpfen. Einen Augenblick sah es für Lena aus als würde das ablaufende Wasser diesen Kampf gewinnen und die Besucher wieder aufs offene Meer befördern. Dann war das schnittige und der Zahl der Geschützpforten nach stark bewaffnete Schiff aus dem Sog heraus und warf im tieferen Wasser dahinter mit lautem Rasseln seine Anker.
„Willkommen an Bord der Balazuma, dem Flaggschiff der Catjary, Kapitän Cerak“, begrüßte Lena den verwegen aussehenden Neuankömmling an Bord. Der Mann hatte das perfekt geschnittene Gesicht eines feinen Lebemannes mit den darüberliegenden Accessoires eines Haudegens: Narben, strubbelige, nach Waldläuferart mit einem Messer unregelmäßig eingekürzte Haare und dazu sogar einen Dreitagebart, der deutlicher als alles andere darauf hinwies, dass dieser Mann aus einer sehr fernen Gegend stammen musste. Die Kleidung des Kapitäns bestand aus Schichten so robusten Leders, dass sie als leichte Rüstung angesehen werden konnte. Am Gürtel und an einer Schärpe reihten sich Schwert und Kriegsbeil an zahlreiche Messer, Dolche und Wurfscheiben.
„Catjary?“, fragte Cerak mit einem Ausdruck des Erstaunens. „Davon habe ich viel gehört. Die neue, aufstrebende und mysteriöse Handelsmacht in dieser Region! Dann können wir vielleicht ins Geschäft kommen?“
„Demnach seid Ihr auch Händler?“, wollte Lena wissen.
„Ich bin offengestanden enttäuscht, dass Ihr noch nicht von mir gehört habt: Ja, ich bin Händler, aber auch verrückter Abenteurer. Manche nennen mich sogar Pirat! Ich befahre mit meiner ´Seekatze´ das ganze Salzwassermeer von Pol zu Pol. Wenn Ihr regionale Güter mitführt und selbst nicht allzu weit fahren wollt, könnte es für Euch und mich gleichermaßen einträglich werden, Waren auszutauschen!“
Bei dem Wort ´Pirat´ hatte Rolf sein mächtiges Schwert gezogen. Alf zog sich aus dem Gespräch zurück, um einigen Leuten Anweisungen zu geben, einen Beobachtungsposten auf den Klippen aufzustellen. Lena hörte, wie er an Carrf gewandt sagte: „Dieses Schiffchen kann uns nicht bedrohen. Aber wir sollten sichergehen, dass der Mann nicht noch eine ganze Flotte in der Hinterhand hat, die auf offener See lauert.“
Gut. Vorsicht kann nicht schaden, dachte Lena. Allerdings gefällt mir dieser Kapitän irgendwie.
Dieses Gefühl Lenas verstärkte sich in den nächsten Stunden noch. Cerak bestand zunächst darauf, seinen Gastgebern als Gastgeschenk eine exquisite Mahlzeit zu spendieren, die er von seinen Leuten auf die Balazuma bringen ließ. Sein Koch musste einfach herausragend sein, ein wahrer Künstler. Beim Essen wollte er noch nicht über Geschäfte sprechen, sondern war stattdessen freigiebig mit Anekdoten aus seinem bewegten Seefahrerleben.
Diese Geschichtchen waren aber nie flach und aufschneiderisch, sondern im Gegenteil meistenteils so spannend vorgetragen, dass Lena überlegte, ob sie die Rechte daran nicht für die Kulturabteilung der Catjary erwerben könne.
Erst im Anschluss an das gemeinsame Mahl war Cerak bereit, die Warenbestände auf den Schiffen der Catjary zu inspizieren und einen Gegenbesuch in seinen eigenen Frachträumen zu erlauben. Er nahm keinen Anstoß daran, dass Alf bei alldem keine Maßnahme zur Sicherung ausließ, etwa indem er garantierte, dass der fremde Kapitän nie die Geschützdecks zu sehen bekam. Stets stand eine Gruppe der Leute des fremden Kapitäns auf der ´Stolz der Balazuma´ unter Bewachung, um eventuelle Entführungen bei der Visite der Catjary auf der ´Seekatze´ von vorneherein unmöglich zu machen.
Ein allzu guter Händler schien der Mann nicht zu sein. Zwar suchte er die Waren mit großer Sorgfalt und nicht immer nach nachvollziehbaren Kriterien aus, doch dann ließ er sich, trotz langwierigen und mit großem Elan geführten Verhandlungen, am Ende auf einen für die Catjary sagenhaft guten Abschluss ein.
Selbst wenn der die Sachen, die er von uns übernommen hat, alle auf sehr weit entfernten Märkten verkaufen will, könnte ich mir vorstellen, dass er am Ende Verlust macht. Das ist schon etwas verdächtig.
Nach den ersten Geschäftsabschlüssen fiel Lena eine mögliche Erklärung ein. Wenn der Mann auch Pirat war und die Waren, die er derzeit geladen hatte, zuvor in einem Gefecht mit einem Konkurrenten aus Lianta Cintall erbeutete, hatte er ja nichts dafür gezahlt. Wenn er
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