Der Mond ist nicht allein (H´Veredy Chroniken) (German Edition)
Helden machte, trotz des Windes der an seiner Kleidung zerrte und der tobenden Wasser um ihn her, bis auf die höchste und trockene Klippe hinauf. Dort konnte Lena ihn nach dem Ende des Sturmes retten lassen.
Von See her waren tiefe Hornsignale vom letzten der Flachschiffe zu hören, die Lena und die Übrigen wissen ließen, dass man beigedreht hatte und versuchen wollte den Sturm auf See abzureiten. Lena konnte dem Schiffsführer, angesichts des gerade beobachten Dramas diese eigenmächtige Entscheidung nicht verübeln. Der kluge Kapitän hatte, wie durch neue Hornsignale und Späher festgestellt werden konnte, stattdessen erfolgreich eine Nachbarbucht angelaufen.
Der Verlust eines Schiffes gehörte nicht zu den großen Seltenheiten auf dem Salzwasserozean. Dennoch hatten alle wenigstens irgendeinen Bekannten auf dem Unglücksschiff gehabt. Es schien vollkommen unmöglich, mit einem anderen Gefährt nahe genug an die Klippen heranzusteuern, um noch irgendwen oder irgendetwas zu retten. Lena und Alf ordneten trotzdem an, das eigene, für solche Zwecke vielleicht geeignetste, Segelschiff heran zu manövrieren und zu tun, was möglich war. Nachdem es in den folgenden Stunden mehrfach brenzlich geworden war und dennoch nicht mehr als kleingeschlagene Holzplanken aus der Gischt gefischt werden konnten, gaben sie es auf und ließen weiter unter Land steuern.
Der Sturm flaute ebenso rasch ab, wie er aufgekommen war. Er hat sein Opfer bekommen und ist besänftigt, dachte Lena.
Auf der Erde sprach man gerne von den ´abergläubischen Seeleuten´. Auch wenn der Begriff in modernen Zeiten vielleicht etwas überholt sein mochte, tauchte er doch immer wieder in älteren Erzählungen auf, die Lena kannte. In den zivilisierten Gesellschaften H´Veredys war Religion an sich seit dreitausend Jahren zu einer Randerscheinung geworden. Lena hatte schon früher festgestellt, dass man sie hier allenfalls amüsiert und nachsichtig anlächelte, wenn sie betete. Als sie vor längerer Zeit einmal versucht hatte herauszubekommen, ob es in V´Llionias irgendeine Art Tempel gebe, hatte sie erst einen Historiker finden müssen, der mit dem Konzept überhaupt etwas anfangen konnte. Dennoch war sogar der überzeugte Atheist Alfred etwas enttäuscht gewesen, dass auf dieser Welt gerade die Seeleute für ihre besonders realistische Einschätzung der Mächte der Natur bekannt waren. Der Mangel an Aberglauben lief gewissermaßen seinem Sinn für Romantik zuwider, hatte er Lena gebeichtet. Sie hatte ihn wegen dieser paradoxen Haltung ausgelacht. Na gut. Dabei hat sicher auch eine Rolle gespielt, dass ich ihm irgendwie heimzahlen wollte, dass er sich immer wieder über meinen Glauben amüsiert. Dabei bin ich mir nicht mal so sicher, dass ich damit nicht auch nur meinen Wunsch zur Realität verkläre. Egal. Ich will mir das nicht nehmen lassen. Manchmal brauche ich dieses Gefühl von Sicherheit, wenn ich ganz, ganz fest daran glaube, dass da noch etwas größeres ist, das auf mich aufpasst, dachte Lena, als sie sich nun an ihre kleinliche Rache an Alf zurückerinnerte. Na ja, eine echte Rache wäre es wohl nur gewesen, wenn Alf nicht kurz darauf angefangen hätte, über sich selbst zu lachen. Wie komme ich überhaupt auf den Gedanken? Ach ja. Jetzt weiß ich wieder. Außer mir hatte hier sicher keiner das Bild vor Augen, der Sturm sei eine Art aufbrausendes, höheres Wesen, das ein Opfer verlangt und bekommen hat. Es sind genau solche Situationen, wenn wieder einmal jemand der unbarmherzigen Natur zum Opfer gefallen ist und alle Einheimischen so eine komische Einstellung haben, die einfach nicht zu passen scheint … dann bekomme ich Heimweh.
Lena konnte nicht allzu lang vor sich hin träumen. Bald kam ein Bote aus der Nachbarbucht über Land und berichtete, dass der Kapitän dort erst einmal bleiben wollte, um Wasser aufzunehmen und Reparaturen durchzuführen. Lena war es recht so. Das war nur der Auftakt für hundert Fragen, die ihre Aufmerksamkeit erforderten. Die Drei Flachschiffe bildeten einen Verteidigungsring, um die Buchteinfahrt zu bewachen. Überall gab es Sturmschäden zu beheben, Decks zu reinigen, und auch das angrenzende Landstück wurde, da man schon einmal hier war, erkundet und nach Nahrung durchkämmt. Ein erneuter Aufbruch musste ohnehin bis zur Morgenflut warten. Bald wäre die Wassertiefe in der Buchteinfahrt zu stark gefallen, um die größeren Gefährte passieren zu lassen. Die Arbeiten waren auf ihrem Höhepunkt, als
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