Der Mond ist nicht allein (H´Veredy Chroniken) (German Edition)
Die Anleger zogen sich hier weit an der steilen Felswand entlang bis auf hundert Schritt an die Hafenfälle heran. Aus dieser Nähe waren die herabtosenden Wassermassen noch überwältigender. Konstantin nahm kaum wahr, wie Cenimnir ihm rufend erklärte, in diesem Abschnitt müssten alle einlaufenden Schiffe anlegen, um sich kontrollieren zu lassen. Es leuchtete Konstantin ein, dass hier keine Waren ein- oder ausgeladen werden konnten, da diese Liegeplätze nur über lange Stege mit dem festen Land verbunden waren.
Auf dem folgenden Weg über die endlosen hölzernen Piers bis hin zur großen Mole und zum Wachturm, der die Hafeneinfahrt kontrollierte, hatte Konstantin Gelegenheit, die Schiffe ausgiebig zu bestaunen. Er zählte allein fünfzig große Hochseeschiffe mit drei oder mehr Masten, zwischen einer Unzahl von kleineren Gefährten. Was ihm Cenimnir über Besonderheiten von Rumpfformen und Betakelung erzählte, konnte er überhaupt nicht mehr aufnehmen. Er bewunderte indessen mehrere Torsionsgeschütze, die mit Winden auf eines der gr ößten Schiffe gehievt wurden.
Die große Mole war so breit, dass mehrere schwere Karren zugleich in beide Richtungen darauf gezogen werden konnten. Trotzdem schlug die Gischt immer wieder über ihre Köpfe hinweg. Die gewaltigen Brecher, die das Bauwerk abhalten musste, mehrten erneut Konstantins Respekt vor den Urgewalten der Natur.
Im benachbarten Fischereihafen sorgte nur eine vergleichsweise kleine Barriere für Schutz vor den Kräften des Ozeans. Die kleineren, maximal zweimastigen Fischerboote hatten hart mit der Dünung zu kämpfen. Die Fischer trugen derweil unverdrossen schwere Kisten mit Fischen und Meeresgetier über Stege, die sich mehr als einen Meter hoben oder senkten, während sie sie beschritten. Dabei stimmten sie gemeinsam Seemannslieder an, die wie der heulende Wind über rauer See anschwollen, um daraufhin wieder zu verklingen und sich zu neuen Höhen aufzuschwingen. „Die Fischer sind seit jeher eine verschworene Gemeinschaft. Außenstehende haben hier keinen echten Zugang. Lass uns einen Stand mit gebratenem Fisch suchen.“
Konstantin liebäugelte kurz mit Krustentieren oder den Spezialitäten aus Muscheln, Tintenschnecken oder Stachelhäutern, entschied sich dann aber doch für ein reines Fischgericht. Der Fisch schmeckte ungewöhnlich nussig und Konstantin konnte nicht entscheiden, ob er die scharfen Gewürze mochte oder nicht. Cenimnir kaufte sich ein Quallenragout. Sie aßen ihr Menü auf einer Sitzbank in der Nähe und gaben danach die hölzernen Teller ab, um das Pfand zurückzuerhalten. Dann schlenderten sie gemächlich und satt weiter bis zum Hafentor.
Die Außenbezirke waren eine Überraschung für Konstantin. Kaum dass sie das Tor passiert hatten, hörten alle festen Straßen auf. Eine Fortbewegung war nur über Holzstege möglich, die sich kreuz und quer durch den ansonsten für Konstantins Augen unberührt wirkenden, dichten Dschungel wanden, zumeist ohne dem Erdboden auch nur nahe zu kommen. Gelegentlich kamen sie an versteckten Holzhäuschen vorbei, die in schwindelnder Höhe errichtet worden waren. Selbstredend sahen sie auch immer wieder Bewohner, die auf den Holzbrücken oder natürlichen Querstämmen unterwegs waren oder in Sichtweite im Dschungel arbeiteten. „Die Außenbezirke kennen keine festen Grundstücke. Jeder darf in einem engen Radius um seine Häuser den Dschungel nutzen, wie er möchte, solange er ihn nicht abholzt. Weiter weg haben die Leute noch eingeschränkte Nutzungsrechte. Somit wird der Wald nicht zu stark bewirtschaftet“, erklärte Cenimnir.
Eine Weile wunderte sich Konstantin, wie die Menschen damit zurechtkamen, in oftmals winzigen Hüttchen zu wohnen. Doch bald bemerkte er, dass von den Gebäuden, die er sehen konnte, immer wieder Leitern und Stiege nach oben oder unten reichten. Er vermutete, dass die Leute dort weitere Gebäude ihr Eigen nannten. Genaue Beobachtungen bestätigten diese Vermutung. Cenimnir entging Konstantins Interesse nicht und er hatte, wie meist, weitere Erklärungen anzubieten. Eine Familie konnte durchaus je einen Pavillon in den Baumkronen als auch am Waldboden haben und dazwischen noch kleine Hütten, die nur der sicheren Ruhe dienten und natürlich auch ein Küchengebäude. Wegen des dichten Bewuchses sah man trotzdem selten mehr als eine dieser Hütten zugleich.
„Wie in aller Welt kann sich hier jemand zurechtfinden?“, fragte Konstantin ungläubig. „Für mich sieht dieser
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