Der Mond ist nicht genug: Roman (German Edition)
wollte Macht«, sagte er. »Ich habe versucht, ihn vor den Konsequenzen zu warnen, aber er wollte nicht hören. Und jetzt vegetiert er hier bis zum Ende dieses Universums dahin. Ziemlich wahrscheinlich auch bis zum Ende des nächsten.«
Wieder nickte sie.
Wests haarige Augenbrauen zogen sich zusammen, dann knurrte er. Zum ersten Mal sah sie seine Zähne. Sie waren spitz. Wie die eines Hais.
»Nick nicht nur, Nummer Fünf! Hör zu!«
»Ich höre zu«, antwortete sie. »Ich kapiere nur nicht, was Sie mir sagen wollen.«
»Sie hören nie zu. Warum mache ich mir überhaupt die Mühe?« Er schüttelte den Kopf. »Sie hören einfach nie zu.«
»Ich hab allmählich die Schnauze voll davon«, sagte sie. »Alle sind die ganze Zeit so beschissen geheimnisvoll. Keiner sagt mir einfach mal, was los ist. Sie machen immer nur Andeutungen und warnen und erzählen kryptischen Unsinn. Warum kann mir nicht einfach mal jemand direkt sagen, was er meint?«
»So einfach ist das nicht.«
»Vielleicht doch. Vielleicht versuchen Sie nur, es komplizierter zu machen.«
Diesmal nickte West.
»Es ist nicht leicht, Nummer Fünf. Nicht leicht, mich zu erinnern. Mich daran zu erinnern, wie ich einmal gewesen bin. Wie du die Welt siehst. Es ist lange her. Lange, lange Zeit …«
Sein Blick schweifte durch den Raum und richtete sich auf einen Punkt in weiter Ferne.
»Nummer Null war mal so wie du«, sagte er. »Er dachte, er könnte die ganze Macht des Universums sammeln, ohne dass es jemand merkt. Er dachte, es würde keine Konsequenzen haben.«
West runzelte die Stirn. Sein Bart zuckte kaum wahrnehmbar.
»Es hat immer Konsequenzen, Nummer Fünf.«
»Aha.« Diana nickte höflich. »Bei allem gebührenden Respekt, wovon zum Geier reden Sie da eigentlich? Ich sammle keine Macht. Ich versuche nur zu vermeiden, von der schrecklichen Menagerie gefressen zu werden, mit der Sie mich zusammengesteckt haben. Ich habe eine Wohnung genommen, und mein Leben wurde auf den Kopf gestellt. Ich hatte nicht darum gebeten!«
»Nicht?«
»Nein! Und versuchen Sie nicht, mir mit diesem Karma oder Unterbewusste-Wünsche-Blödsinn zu kommen. Wenn das Leben so liefe, hätte ich mit sechs Jahren ein geflügeltes Einhorn bekommen und wäre jetzt eine Astronautin, die in ihrer Freizeit Vampire jagt.«
West sagte: »Du bist kein normaler Mensch mehr.«
»Vielleicht nicht, aber ich werde so normal bleiben, wie ich kann, und zwar trotz dieser fremdartigen Monster und der übernatürlichen Bizarrerie, die das Universum mir in den Weg wirft. Können wir jetzt gehen? Diese Wohnung ist mir nicht geheuer.«
Das Ding im Sessel – sie konnte es nicht als Menschen betrachten oder als etwas, das einmal ein Mensch gewesen war – gurgelte sie an.
»Nichts für ungut«, sagte sie.
West lächelte. »Ich glaube, es gibt Hoffnung für dich, Nummer Fünf.«
»Verdammt richtig«, sagte sie. »Ich komme damit klar.«
Er kicherte trocken.
»Keiner kommt damit klar. Das erdrückende Gewicht des Wahnsinns ist eine Bürde, die kein menschlicher Geist ohne Überanstrengung tragen kann. Alle Siege sind temporär, alle Niederlagen unvermeidlich.«
»Was für ein heiterer Gedanke.«
»Ich sage nur, wie ich es sehe.«
»Tja, wenn ich es nicht vermeiden kann, warum dann überhaupt die Mühe, mich zu warnen?«
»Weil ich dich mag, Nummer Fünf. Ich sehe etwas in dir, das ich nicht in vielen sehe.«
»Und was wäre dieses Etwas?«
Er zuckte die Achseln. »Etwas. Wenn ich eine bessere Bezeichnung dafür hätte, würde ich sie benutzen.«
Sie ließen Apartment null hinter sich. Die Rückreise war nicht halb so verstörend.
»Ich habe nie gesagt, du würdest in der Wohnung in der Falle sitzen. Ich habe keine Ahnung, ob du dasselbe Schicksal erleiden wirst. Es gibt so viele mögliche Schicksale in diesen Welten, dass ich bezweifle, einer von uns könnte einen Verdacht oder eine Vorstellung davon haben, wie deines aussehen wird.«
»Super«, erwiderte sie. »Denn ich fände es furchtbar, wenn es etwas Vorhersehbares und Vermeidbares wäre.«
»Sei vorsichtig, Nummer Fünf«, sagte West. »Aber nicht zu vorsichtig.«
»Ich werde es im Hinterkopf behalten.«
»Tu das.« Er lächelte sie an, und davon war sie so verblüfft, dass er längst schon in sein Apartment zurückgeschlurft war, als sie ihre Sinne wieder beisammen hatte.
VIERZEHN
Diana zögerte, bevor sie an die Tür klopfte. Dies war ein seltsames Gebäude, und jeder, der es sein Zuhause nannte, war an diese
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