Der Mond ist nicht genug: Roman (German Edition)
Seltsamkeit gekettet. Sie hatte erst eine Handvoll der Bewohner kennengelernt. Zwar wirkten alle nett, aber sie in einer Wohnung zusammengepfercht zu haben, das bedeutete vielleicht mehr Abartigkeit, als ihr Verstand aushielt. Sie wusste, sie würde eines Tages verrückt werden. West hatte ihr das praktisch garantiert, aber wenn sie schon den Verstand verlieren musste, dann hätte sie das doch lieber so lange wie möglich aufgeschoben. Wenigstens noch eine Nacht.
Sie dachte darüber nach, welche Art von Grauen sie auf der anderen Seite dieser Schwelle erwartete. Außerirdische Bestien. Zeitschleifen? Smooth Jazz? Sie hatte keine Ahnung. Bis auf den Jazz. Die gedämpften Laute von Easy-Listening-Jazz drangen durch die Tür. Das allein genügte fast, um sie zu überzeugen, sich umzudrehen und das Ganze zu vergessen.
Doch ihre Monster stimmten sie um. Sie freuten sich alle so auf die Party. Sie durfte dem Abend einfach nicht jetzt schon den Stecker ziehen. Sogar ewige Wesenheiten aus anderen Dimensionen konnten sich langweilen. Den ganzen Tag in der Wohnung herumzuhängen, Karten zu spielen und fernzusehen wurde auch irgendwann öde. Und eine Schar von Monstern, die dringend Abwechslung brauchten, würde auf lange Sicht gesehen vermutlich nur Probleme verursachen.
Sie klopfte. Stacey öffnete ihr. Zurzeit war sie die Wirtin der fürchterlichen Fledermauskreatur, und Diana war überrascht, wie bereitwillig sie das akzeptierte und ärgerte sich, wie wenig bedrohlich sie die missgestaltete, schwerfällige Frau fand. Das Stacey-Ding lächelte so breit und freundlich, wie es ihm ein Mund voller zehn Zentimeter langer Reißzähne erlaubte.
»Diana kommt zur Kennenlernparty«, sagte es mit einem gutturalen Grollen. »Diana bringt Freunde mit.«
»Ja, ich hoffe, das ist in Ordnung.«
Ein zerhacktes, keuchendes Geräusch schüttelte das Stacey-Ding von tief innen in seinem verkrampften Torso. Es klang schmerzhaft und sah qualvoll aus, und Diana dachte schon, es sei ein Krampf, bis sie merkte, dass das Stacey-Wesen vergnügt gluckste.
»Je mehr, je lustiger.«
»Siehst du? Ich hab dir doch gesagt, es ist cool für sie.« Vorm schnüffelte, auch wenn er keine sichtbaren Nasenflügel hatte. Aber er hatte auch keine Augen, und das schien ihn nie zu stören. »Rieche ich da Zimtplätzchen?«
»Frisch gebacken«, sagte Stacey.
Anerkennend und aufgeregt murmelnd betraten die Monster die Wohnung.
Diana hielt einen unförmigen Laib Bananenbrot hoch. »Ich habe nicht viel Backerfahrung«, sagte sie als Erklärung und Entschuldigung.
Stacey griff sich das Mitbringsel und schlang es hinunter. »Bananenbrot gut«, sagte sie und spuckte Krümel dabei. »Du komm jetzt rein.«
Diana hatte erwartet, das Apartment werde eine Art Überbleibsel aus den Fünfzigern sein, passend zu der harmlosen Gemütlichkeit, die Stacey und Peter so mühelos verkörperten. Dabei wirkte es erstaunlich funktionell und modern. Alles schien direkt aus einem Schöner-Wohnen-Katalog zu kommen. Bis auf die bizarren Masken, die überall an den Wänden hingen. Sie hatten alle verschiedene Formen und Farben, viele verzerrt und sonderbar. Manche davon hatten Augen, die sie anstarrten und die Aktivitäten im Raum verfolgten. Sie tat so, als wäre das normal, und vielleicht war es das auch.
Die Party war tot. Die einzigen Gäste waren Dianas Monster, und die drängten sich in der Küche und verschlangen Kekse, wahrscheinlich mitsamt den Kuchenblechen, Besteck und was sie sich sonst noch in die Münder stopfen konnten. Wobei Zap gar keinen Mund hatte – wie er also etwas essen konnte, war ein Rätsel, das sie ungelöst ließ.
»Jungs, seid vorsichtig!«, sagte sie.
»Ach, lass ihnen doch den Spaß«, sagte Peter und erhob sich von der Couch. Er trug einen festlichen Weihnachtspullunder und rauchte Pfeife.
»Ich bin so froh, dass du kommen konntest.«
»Froh«, wiederholte das Stacey-Wesen.
»Habe ich mir die Uhrzeit falsch gemerkt?«, fragte Diana. »Ich bin doch nicht zu früh, oder?«
»Nein, um genau zu sein, bist du sogar ein klein wenig spät, ganz modern.«
»Modern«, sagte das Stacey-Wesen.
»Und ich sehe, du hast etwas mitgebracht. Wäre doch nicht nötig gewesen!«
Diana zuckte die Achseln. »Es ist nicht besonders gut.«
»Es riecht aber absolut köstlich. Vielleicht versuche ich nächstes Mal ein Stück.«
Die Stacey-Kreatur streckte ihre lange blaue Zunge heraus und ließ ein Stück von dem schleimigen Bananenbrot in ihre Hand fallen.
Weitere Kostenlose Bücher