Der Mond ist nicht genug: Roman (German Edition)
es darauf wartet, euch zu verzehren.«
»So hatte ich es bisher noch gar nicht gesehen«, gab sie zu.
»Warum solltest du auch? Es ist, als wäre man ein Frosch, der den Geschmack von Fliegen mag. Der Frosch muss nicht erst darüber nachdenken. Er akzeptiert es einfach.«
Vorm schnappte ihr das letzte Sandwich weg. Er machte den Mund weit auf, um es zu verschlucken, dann hielt er inne, riss es in zwei Hälften und reichte ihr eine davon.
»Danke. Ich weiß, wie schwer das für dich gewesen sein muss.«
»Nicht so schwer, wie du denkst«, erwiderte er. »Klar, dort wo ich früher war, als ich nur eine zielstrebige Fressmaschine war, wäre es unmöglich gewesen. Aber der Transferenzprozess funktioniert in beiden Richtungen. Du hast vielleicht meinen Appetit, aber ich habe deine Selbstkontrolle, deine Empathie.«
Sie gluckste. »Ich habe mich selbst bisher nie für besonders kontrolliert gehalten.«
»Die meisten Menschen haben unendlich viel mehr Selbstkontrolle als wir Schreckensgestalten. So funktioniert eure Spezies nun mal, das liegt in eurer Natur. Ihr braucht es, um eure Zivilisation zu gewährleisten. Wo ich herkomme, gibt es das Wort Zivilisation nicht einmal.«
»Wie ist es dort?« Diana erwartete nicht, seine Antwort zu verstehen, sondern versuchte einfach, sich von diesem nagenden Hunger abzulenken. Essen mochte ihn im Zaum halten, aber irgendwie befriedigte es nicht den endlosen Appetit in ihr, der sogar noch stärker zu sein schien als vorher.
»Manchmal fällt mir die Erinnerung schwer«, sagte Vorm. »Wahrscheinlich, weil Erinnerung auch etwas ist, das ich von dir geliehen habe. Die Gesetze der Physik, wie du sie kennst, existieren dort nicht. Es ist ein wesentlich kleinerer Ort. Nur ein einziger Planet und eine Handvoll Sterne. Alles entsteht spontan aus geschmolzenen Teichen von Urschleim und beginnt dann sofort mit dem Verschlingen und dem Vermeiden, verschlungen zu werden. Und dort bin ich ein Gott. Irgendwie. In einer Realität, in der alles lebt, um alles andere zu fressen, stehe ich an der Spitze der Nahrungskette. Ich sitze auf dem großen Berg, und die Dinge töten einander allein für das Recht, in meinen Schlund zu kriechen.«
»Klingt nett.«
»Ob du es glaubst oder nicht – das war es auch. Vor allem, wenn du das Glück hattest, der Fresser und nicht der Gefressene zu sein. Dafür wurde ich geschaffen, und ich war gut darin. Dann bin ich in die Leere zwischen den Welten gefallen und endete hier, mit allem, was dazugehört. Die Existenz ist hier sehr viel komplizierter, und ich weiß immer noch nicht, ob das gut ist oder nicht.«
Das konnte sie verstehen. Jetzt auf einem Berggipfel zu sitzen und Leute zu haben, die einen unendlichen Vorrat an Cheeseburgern in ihren Schlund warfen, klang verdammt reizvoll. Zu wissen, dass es nicht sie war, sondern von Vorm kam, machte ihr nur klar, wie fremd ihm das Leben in dieser Realität sein musste.
»Es tut mir leid«, sagte sie.
»Entschuldigung angenommen.« Er nahm den Teller und verschluckte ihn. »Was tut dir leid?«
»Es tut mir leid, dass ich nicht verstanden habe, wie schwer das für dich sein muss.«
Er nickte. »Ja, ich sollte mich vielleicht auch bei dir dafür entschuldigen.«
»Es muss doch einen Weg für dich geben, wieder dorthin zurückzukehren.«
»Da bin ich mir sicher. Und ich bin mir auch sicher, dass ich eines Tages zurückkehren werde. Ich bin unendlich. Ich habe alle Zeit dieses Universums und des nächsten. Aber ich mache mir manchmal Sorgen, dass es nicht mehr dasselbe sein wird, wenn ich zurückgehe. Alles zu essen klingt super. Ehrlich. Aber ich werde es vermissen, mit Leuten reden zu können und über Dinge nachzudenken. Die Leute reden nicht so gern mit alles verschlingenden Urgöttern. Meistens skandieren sie beschwichtigende Klagegesänge und schreien.«
Vorm steckte seine pelzige Hand aus. »Gib mir deine Hand.«
»Warum?«
Er lächelte mit geschlossenem Mund, und sie wusste, er tat es, um seine vielen Reihen scharfer Zähne zu verbergen. »Vertrau mir. Nur dieses eine Mal.«
Wider besseres Wissen legte sie ihre Hand in die seine. Ein Funke stach in ihre Finger und ließ die Hand taub werden. Und einfach so war sie nicht mehr hungrig.
»Du hast es zurückgenommen!«
»Ich weiß nicht, wie lange es anhält, aber vielleicht reicht es, bis deine Verabredung zu Ende ist. Ich hoffe, es macht dir nichts aus, dass ich auch ein bisschen von deiner Selbstdisziplin geborgt habe. Nur damit es erträglicher
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