Der Mondmann
zurück und streckte die Beine aus, um es sich bequemer zu machen.
»So kann ich auch den Himmel beobachten.«
»Stimmt«, sagte ich. »Aber was ist, wenn die Vögel nicht kommen?«
»Dann werden wir morgen um diese Zeit wieder hierher fahren.«
Ich hob die Schultern. »Im Prinzip habe ich nichts dagegen. Ist ja wie ein Urlaub.« Ich lächelte meine Freundin Maxine breit an. »Und man wird von dir so wunderbar verpflegt. Besser als in jedem Hotel.«
»Ha, ha...«
»Das stimmt, was John gesagt hat«, meldete sich Carlotta vom Rücksitz her.
»Ja, ja, haltet ihr nur zusammen.«
»Tun wir das?«, fragte ich so harmlos wie möglich.
»Nein!« Carlotta’s Antwort klang beinahe entrüstet.
Der Grund, weshalb ich nach Dundee geflogen war, hieß eben Carlotta. Sie, das Vogelmädchen, hatte auf einer ihrer nächtlichen Touren etwas entdeckt, das ebenso wenig normal war wie sie.
Vögel waren es. Raben, um genauer zu sein. Aber auch die waren etwas Besonderes, denn sie besaßen gelbe Augen, als hätten sie darin das Mondlicht eingefangen.
Carlotta hatte über diese Entdeckung natürlich nicht geschwiegen und mit ihrer Ziehmutter gesprochen. Dabei musste Maxine sehr bleich geworden sein. Sie hatte einige Male nachgefragt und sich nochmals eine genaue Beschreibung geben lassen.
»Dann stimmt es also doch«, hatte sie gesagt.
»Was denn?«
»De Legende vom Mondmann, der sich mit den Vögeln umgibt, die früher einmal Menschen gewesen sind.«
»Was?«
Maxine hatte nur genickt und gebeten, allein zu bleiben. In ihrem Zimmer hatte sie nachgedacht und sich dann entschlossen, mich anzurufen. Das war allerdings einen Tag später gewesen, und so hatte sie mir die Unterhaltung mit dem Vogelmädchen fast wortwörtlich wiedergegeben, an die ich mich in diesem Augenblick so gut erinnerte.
Ob das ein Fall für mich war und wie viel Wahrheit dahinter steckte, wusste ich nicht. Aber ich war froh gewesen, London mal wieder den Rücken zu kehren und nach Schottland reisen zu können. Auch wenn ein neuer Fall auf mich wartete, würde ich hier vermutlich das makabre Theater um den Schwarzen Tod und seine Helfer vergessen können.
Carlotta hatte die seltsamen Vögel in der Dunkelheit gesehen. Eine genaue Zeitangabe hatte sie nicht machen können, jedenfalls war es noch vor Mitternacht gewesen, und deshalb hatten wir nun bei Anbruch der Dunkelheit Stellung bezogen.
»Noch einen Kaffee, John?«
Ich lehnte dankend ab. »Aber er war super. Sogar noch richtig heiß.«
»Naja.« Maxine musste schmunzeln. Auch sie trank nichts mehr und stellte die Kanne neben sich.
Ich schaute sie von der Seite an. Sie war eine interessante Frau, die auch ohne Schminke gut aussah. Allerdings war ihr Gesicht nicht mit denen der Models zu vergleichen. Maxine war handfester. Mit ihr konnte man Pferde stehlen. Sie stand mit beiden Beinen im Leben, und mancher Mann wünschte sich eine wie sie als Partnerin.
Dazu war es noch nicht gekommen. Es hatte in ihrem Leben zwei, drei Enttäuschungen gegeben. Danach hatte Maxine sich vorgenommen, sich in erster Linie um ihren Beruf zu kümmern. Darin war sie klasse. Die Praxis befand sich in einem Anbau an ihrem Wohnhaus, und es gab auch einen Raum, in dem Tiere länger bleiben konnten, wenn es sie mal schwerer erwischt hatte.
Auch Carlotta, das Vogelmädchen, war als neue Aufgabe hinzugekommen, und auf sie hielt Maxine immer ein Auge.
Wir beide waren uns ebenfalls sehr sympathisch, aber miteinander geschlafen hatten wir noch nicht. Irgendwie waren wir bisher beide davor zurückgeschreckt.
»Was hast du, John?«, fragte sie.
»Wieso?«
»Glaubst du denn, dass ich deinen Blick nicht bemerke?«
Zum Glück war es dunkel im Wagen, sonst hätte sie gesehen, dass ich verlegen wurde.
»Ich habe nachgedacht.«
»Über uns?«
»Auch.«
Jetzt schaute sie mir direkt ins Gesicht. »Und worüber hast du nachgedacht?«
»Die Gedanken sind frei.«
»Ja, meine auch.«
Es blieb bei diesem Satz. Vielleicht hätte sie mehr gesagt, aber auf dem Rücksitz saß das Vogelmädchen, und es brauchte ja nicht alles mitzubekommen. Allerdings las ich in ihren Augen, dass sie wohl ähnliche Gedanken gehabt hatte wie ich. Einen Moment später streichelte sie mit ihrer Hand über mein Knie und meinte dann: »Ich denke, dass es die Zeit bringen wird, John.«
»Möglich.«
Maxine nahm ihre Hand wieder zurück. Ein Rucken ging dabei durch ihren Körper, und sie kam wieder auf das Thema. »Na, ob sie noch in dieser Nacht kommen
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