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Der Mondscheingarten

Der Mondscheingarten

Titel: Der Mondscheingarten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Corina Bomann
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von dem schon seit Tagen unablässig Schnee fiel. Dabei streifte ihr Blick das Abbild ihres Gesichts in der blankpolierten Wand eines Schränkchens, das zur kleinen Armee ihrer Ladenhüter gehörte.
    Ihre feinen, fast mädchenhaften Züge wirkten blass und abgespannt, nur ihr rotes Haar und ihre grünen Augen leuchteten. Die Weihnachtsfeiertage hatten ihr nicht viel Erholung gebracht. Der Besuch bei ihren Eltern hatte wieder einmal damit geendet, dass sie ihr ans Herz gelegt hatten, sich einen neuen Mann zu suchen.
    Obwohl sie ihre Eltern liebte, war das zu viel für Lilly gewesen. Entnervt war sie nach Berlin zurückgefahren, um dort den Jahreswechsel allein in ihrer Wohnung zu verbringen und sich dann an die Inventur des Ladens zu machen.
    Doch die war nun erledigt, und ihr blieb nur das Warten auf Kundschaft. Lilly hasste es, untätig zu sein. Aber was blieb ihr anderes übrig?
    Vielleicht sollte ich den Laden einfach schließen und für acht Wochen in den Urlaub fahren, ging es ihr durch den Sinn. Wenn ich wiederkomme, ist der Schnee weg und der Laden wieder voll.
    Der Klang der Türglocke – ein Stück, das aus einem Landhaus stammte und das stets das Bild einer umherwuselnden Dienerschaft in ihr heraufbeschwor – riss sie aus ihren Gedanken.
    Auf dem Mantel des alten Mannes, der auf der Türschwelle stand und sich zu fragen schien, ob er hereinkommen durfte, glitzerten Schneeflocken, die in der Wärme des Raumes langsam zu Wassertropfen vergingen. Sein wettergegerbtes Gesicht hätte gut das eines Seemanns aus einem Werbespot sein können. Unter seinem Arm trug er einen alten, an einigen Stellen abgewetzten Geigenkasten. Wollte er ihn verkaufen?
    Lilly erhob sich, strich kurz über ihre dunkelblaue Strickjacke und trat dem Mann entgegen. »Guten Tag, was kann ich für Sie tun?«
    Der Mann musterte sie kurz, dann erschien ein verhaltenes Lächeln auf seinem Gesicht. »Ich nehme an, Ihnen gehört dieses Geschäft.«
    »Ja, genau«, antwortete Lilly lächelnd, während sie versuchte, sich ein Bild von ihrem Kunden zu machen. War er ein alternder Musiker auf dem Heimweg von einer Veranstaltung? Ein Geigenlehrer, der sich mit irgendwelchen mäßig talentierten Schülern herumschlagen musste? »Wie kann ich Ihnen helfen?«
    Wieder musterte der Mann sie, als suchte er in ihrem Gesicht irgendwas. Dann nahm er den Geigenkasten unter seinem Arm hervor.
    »Ich habe da etwas für Sie. Wenn Sie mir gestatten, es Ihnen zu zeigen?«
    Eigentlich wollte Lilly in diesem Monat nichts Neues mehr ankaufen, aber dass ihr jemand ein Musikinstrument anbot, war so selten, dass sie nicht nein sagen konnte.
    »Kommen Sie bitte mit rüber, da können Sie es mir zeigen.«
    Sie führte den Mann zu einem einfachen Tisch neben dem Verkaufstresen. Hier ließ sie sich von Kunden, die kamen, um ihr etwas anzubieten, die Ware zeigen.
    Meist war nicht viel Brauchbares darunter. Die Leute schätzten das, was sie auf den Dachböden und in den Nachlässen ihrer verstorbenen Angehörigen fanden, oft wertvoller ein, als es letztlich war. Wie oft hatte sie sich schon Vorwürfe anhören müssen, wenn sie behauptete, das alte Porzellan­figürchen sei Nippes.
    Doch als der alte Mann den Deckel seines Geigenkastens öffnete, ahnte Lilly bereits, dass sie etwas Besonderes erwartete. Auf dem verschlissenen und mottenzerfressenen Futter, dessen Farbe früher einmal tiefrot gewesen sein musste, lag eine Violine. Eine alte Violine. Lilly war keine Expertin, doch sie schätzte, dass das Instrument mindestens hundert Jahre auf dem Buckel hatte, wenn nicht mehr.
    »Nehmen Sie sie ruhig heraus«, sagte der alte Mann, während er sie ganz genau beobachtete.
    Etwas zögerlich kam Lilly der Aufforderung nach. Vor Musikinstrumenten hatte sie allergrößten Respekt, auch wenn sie selbst keines spielte. Während sie den Hals der Geige umfasste, dachte sie an ihre Freundin Ellen, deren Beruf und Leidenschaft es war, Kostbarkeiten wie diese zu re­staurieren. Sie würde ihr den Schätzwert dieses Instruments schon nach einem Blick nennen können.
    Doch noch während Lilly die Geige betrachtete – die ungewöhnliche Lackierung, die seltsam geformte Schnecke –, bemerkte sie auf der Rückseite eine Zeichnung. Die Rose wirkte grob und sehr stilisiert, beinahe so, als hätte ein Kind sie gezeichnet. Doch sie war einwandfrei als Rose zu erkennen.
    Welcher Geigenbauer verzierte sein Instrument mit solch einem Ornament? Lilly machte sich im Geiste eine Notiz, Ellen gleich am

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