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Der Monstrumologe Und Die Insel Des Blutes

Der Monstrumologe Und Die Insel Des Blutes

Titel: Der Monstrumologe Und Die Insel Des Blutes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rick Yancey
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nicht hierum gebeten. Mein Vater hatte dem Monstrumologen mit Freuden gedient, doch mein eigenes Dienertum war mehr von der unfreiwilligen Sorte, die Folge tragischer Umstände, mit denen ich mich, mit dreizehn, erst noch abfinden musste. Ohne den Mann, der mich gerade so ungerecht und grausam getadelt hatte, wären mein Vater und meine Mutter noch am Leben, und ich wüsste nichtdas Geringste von dem staubigen und finsteren Inneren der Harrington Lane 425. Vielleicht war der Monstrumologe nicht unmittelbar verantwortlich für ihren Tod, aber die Monstrumologie auf jeden Fall. Oh, diese abscheuliche »Philosophie«! Diese widerliche »Wissenschaft«, die meine Eltern ins Verderben gestürzt hatte – und jetzt mich.
    Der beißende Gestank verfaulenden Fleischs … die blinden Augäpfel irgendeiner widerlichen Kreatur, die vom Nekropsietisch zu mir hochstarrte … das unbeschreibliche Grauen eines Pellinore Warthrop, der blutige Reißzähne von Menschenfleisch säuberte und dabei mit der Zufriedenheit eines Menschen vor sich hin pfiff, der in der Beschäftigung versunken ist, die er liebt …
    Während der Junge, den er geerbt hatte, der Junge, der mit angesehen hatte, wie seine Eltern in einem Feuer umgekommen waren, für das er, Warthrop, das metaphorische Zündholz bereitgestellt hatte, halb ohnmächtig dicht dabeistand, allzeit der treue, unentbehrliche Gefährte, Füße wie Eis in blutbefleckten Schuhen auf einem kalten Steinfußboden …
    Und ganz allmählich dieses Jungen Seele, sein menschlicher Animus, kalt wird, taub wird, atrophiert …
    Wer mit Ungeheuern kämpft, mag zusehen, dass er nicht dabei zum Ungeheuer wird.
    Wissen Sie, was das bedeutet?
    Ich weiß es.
    Jahr um Jahr, Monat um Monat, Tag um Tag, Stunde um Stunde, Minute um Minute, Sekunde um Sekunde in der Gesellschaft des Monstrumologen nagt etwas an der Seele, so wie die brodelnde Brandung die Küstenlinie formt, erodiert das Gefüge, legt die Knochen bloß, enthüllt die Skelettstruktur unter unserer Empfindung menschlicher Einzigartigkeit.
    Als ich anfangs bei ihm lebte, war es ein Teil unseres Sezierungsprotokolls, dass ein Eimer neben dem Tisch stand, damit ich meinen Mageninhalt von mir geben konnte – das war unausweichlich. Nach einem Jahr an seiner Seite war der Kübel nichtmehr nötig. Ich konnte die Hände so lässig in die fauligen und verwesten Überreste eines Organismus stecken, wie ein kleines Mädchen Gänseblümchen auf einer Wiese pflückt.
    Ich konnte es spüren, als ich in diesem Salon Wache hielt, das Sichlösen von etwas, das in mir festgebunden war, ein Auftrennen, das gleichermaßen erregte wie erschreckte. Ich hatte keinen Namen dafür, nicht damals, nicht mit dreizehn, für dieses Ding, das sich in mir entwirrte. Es war Teil von mir – der fundamentalste Teil vielleicht –, und es war abgesondert von mir, und an der Spannung zwischen ihnen, dem Mir und dem Nicht-mir , konnte die Welt zerbrechen.
    Wer mit Ungeheuern kämpft   …
    Es ist nicht meine Absicht, in Rätseln zu sprechen. Ich bin inzwischen ein alter Mann. Die Alten sprechen geradeheraus; das ist unser Vorrecht.
    Spräche ich geradeheraus, würde ich es das Ungeheuer nennen, aber das ist nur mein Name für das Ich/Nicht-ich , das sich loswickelnde Ding, das mich antrieb und abwies, das Ding in mir – und das Ding in Ihnen  –, das wie Donner flüstert: ICH BIN .
    Vielleicht haben Sie einen anderen Namen dafür.
    Aber Sie haben es gesehen. Man kann nicht Mensch sein und es nicht sehen, nicht seine Anziehungskraft spüren, es nicht wie Donner flüstern hören. Sie wollen vor ihm fliehen, aber es ist Sie , wo also sollten Sie hinlaufen? Sie wollen es bereitwillig annehmen, aber es ist Nicht-Sie , wie könnten Sie es also festhalten?
    Verstehen Sie, mehr als ein Verhungernder Brot will, wollte ich sehen, was in diesem Kasten war, ganz gleich, was es auch sein mochte. Dieses Verlangen machte mich mehr zum Produkt meines Herrn als meines eigenen Vaters; ich war der wiedergeborene Pellinore Warthrop, jedoch unverfälscht durch irgendwelche poetischen Bedenken. In mir war es reiner Hunger, ein von Plattitüden oder kleinlicher menschlicher Moral ungetrübtes Verlangen.
    Aber in diesem Ding, das sich im Inneren entwirrte, dem U ngeheuer, wohnte auch der Ekel – die ausgleichende Macht des Abscheus, die danach schrie, bei Kendall im Salon zu bleiben.
    Mein Pflegebefohlener hatte seit fast einer Stunde nicht mit der Wimper gezuckt und sah auch nicht so

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