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Der Monstrumologe Und Die Insel Des Blutes

Der Monstrumologe Und Die Insel Des Blutes

Titel: Der Monstrumologe Und Die Insel Des Blutes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rick Yancey
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Sir?«
    »Die, die du nicht gestellt hast. Es ist leer, Will Henry.«
    Methodisch machte er sich an die Arbeit, und nur seine Augen verrieten seine Aufregung. Oh, wie diese dunklen Augenvor Entzücken hüpften! Er war jetzt ganz in seinem unheiligen Element. Dies war sein Daseinszweck, die Welt des Blutes und des Schattens, welche die Monstrumologie ist.
    »Reich mir die Lupe, und du musst das Licht für mich halten, Will Henry. Nah heran jetzt, aber nicht zu nah! Hier, zieh diese Handschuhe an! Denk dran, immer Handschuhe tragen!«
    Er streifte die Lupe über und schnallte das Kopfband fest. Die dicke Linse ließ sein Auge lächerlich groß im Verhältnis zum Gesicht aussehen. Er beugte sich über John Kearns’ ›Geschenk‹, während ich das Licht auf dessen glitzernde, unregelmäßige Oberfläche richtete.
    Er bewegte das Objekt nicht; wir drehten uns um es herum. Mehrere Male blieb er bei unserer Kreisbewegung um den Tisch stehen und ging mit der Nase gefährlich nah an die Oberfläche des Dings heran, erstarrt aufgrund von Einzelheiten, die für mein bloßes Auge unsichtbar waren.
    »Schön«, murmelte er. »So wunderschön!«
    »Was?«, fragte ich mich laut. Ich konnte nicht anders. »Was ist das für ein Ding, Dr. Warthrop?«
    Er richtete sich auf, die Hände ins Kreuz drückend, zusammenzuckend, denn er hatte fast eine Stunde lang vornübergebeugt gestanden.
    »Das?«, fragte er mit vor freudiger Erregung zitternder Stimme. »Das, William Henry, ist die Erhörung eines ungesprochenen Gebets.«
    Auch wenn ich schwerlich verstand, was er meinte, drängte ich ihn nicht, näher darauf einzugehen. Monstrumologen, hatte ich gelernt, beten nicht zu denselben Göttern wie wir.
    »Komm mit!«, rief er, drehte sich abrupt auf dem Absatz um und rannte die Treppe hoch. »Und nimm die Lampe mit! Die Wirkung des Morphiums müsste bald nachlassen, und es ist unbedingt erforderlich, dass wir Mr Kendall als Verdächtigen ausklammern.«
    Als Verdächtigen? , wunderte ich mich. Als Verdächtigen wofür?
    Im Salon kauerte sich der Doktor vor den Mann, der inzwischen, die Arme über der Brust gekreuzt, stöhnend auf dem Rücken lag, während die Augen unter flatternden Lidern rollten. Warthrop legte die behandschuhten Finger auf den Hals des Mannes, hörte seinen Herzschlag ab, und dann zog er ihm beide Augenlider hoch und starrte ihm in die nervösen, leeren Augen.
    »Neben mich, hierher, Will Henry!«
    Ich ging neben ihm auf die Knie und leuchtete mit der Lampe in Kendalls zuckende Augäpfel. Der Doktor beugte sich ganz weit hinunter, so tief, dass sich ihre Nasen fast berührten, wodurch das absurde Tableau eines Kusses in der Schwebe entstand. Er murmelte etwas; es klang wie Latein. »Oculi Dei!«
    »Wonach suchen Sie?«, flüsterte ich. »Sie sagten doch, er wurde nicht vergiftet.«
    »Ich sagte, er wurde nicht von Kearns vergiftet. Im geronnenen Sputum haben sich drei verschiedene Sätze von Fingerabdrücken eingeprägt. Jemand ist damit in Berührung gekommen – drei ›Jemande‹ offensichtlich –, und ich bezweifle, dass John einer davon war. Er würde sich hüten.«
    »Ist es giftig?«
    »Um es gelinde auszudrücken«, antwortete der Doktor. »Falls in den Geschichten auch nur ein Funke Wahrheit steckt.«
    »Was für Geschichten?«
    Er wandte sich nicht von seiner Aufgabe ab, seufzte aber schwer. Hierin wenigstens war der Doktor wie die meisten Männer: Er war nicht geschickt darin, zwei Dinge gleichzeitig zu tun.
    »Die Geschichten über den Nidus , Will Henry, und über das Pwdre ser . Nun willst du sicher fragen: ›Was ist ein Nidus ?‹ und ›Was ist das Pwdre ser ?‹ Aber ich bitte dich, deine Fragen für den Augenblick für dich zu behalten; ich versuche zu denken.«
    Nach einem Moment stand er auf. Er betrachtete seinen Zufallspatienten ein oder zwei weitere Momente. Dann drehte er sich um und starrte mich schweigend noch zwei oder drei weitere an.
    »Ja, Sir?«, sagte ich mit einem ängstlichen kleinen Schlucken.Die lastende Stille und seine nicht zu deutende Miene zermürbten mich.
    »Ich sehe nicht, dass uns eine andere Wahl bliebe, Will Henry«, meinte er sachlich. »Ich weiß nicht mit Gewissheit, dass er es berührt hat, und die Geschichten mögen nichts weiter als Aberglaube und Lügendichtungen sein, aber es ist besser, auf Nummer sicher zu gehen. Lauf nach oben und zieh das Bett im Gästezimmer ab, und wir werden auch ein Stück starkes Seil brauchen. Ich denke, ich sollte ihm noch eine Dosis

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