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Der Monstrumologe Und Die Insel Des Blutes

Der Monstrumologe Und Die Insel Des Blutes

Titel: Der Monstrumologe Und Die Insel Des Blutes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rick Yancey
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es, woran es mich erinnert.
    Anfangs stellte es mich vor ein Rätsel, wie der monströse Handwerker, wer er – oder was er – auch sein mochte, es geschafft hatte, dies zu vollbringen. Lebloses Gewebe verfault schnell, wenn es den Elementen ausgesetzt wird, und ohne irgendein Bindemittel wäre der gesamte grausige Sack zweifelsohne zu einer chaotischen Masse zusammengefallen. In der grellen elektrifizierten Beleuchtung des Laboratoriums glitzerte das Ding tatsächlich wie gebrannter Ton. Vielleicht rührte daher mein erster Eindruck von ihm her, denn es war mit einer leicht trüben, gallertartigen Masse überzogen, die an Mukus erinnerte.
    In seiner Hast, Kendall zur Rede zu stellen – Haben Sie es geöffnet, Kendall? Haben Sie angefasst, was darin war?  –, hatte der Doktor seine Aufzeichnungen vergessen. Oben auf der Seite stand diese Notiz:
    London, 2. Febr. 89, Whitechapel. John Kearns.
    Magnificum???
    Unter dieser Zeile stand ein Wort, das ich nicht kannte, denn meine Studien der klassischen Sprachen waren unter der Obhutdes Doktors erlahmt. In großen Blockbuchstaben, die die Seite beherrschten, hatte er geschrieben:
    ΤΥΦΩΕΎΣ
    Der Rest der Seite war leer. Es schien, als wäre ihm, sobald er einmal dieses Wort zu Papier gebracht hatte, sonst nichts mehr zu schreiben eingefallen.
    Oder, dachte ich, es gab sonst nichts, was er zu schreiben wagte .
    Das war ausgesprochen beunruhigend, mehr noch als das, was er unter dem schwarzen Tuch versteckt hatte. Auch wenn ich noch ein Knabe war, so konnte ich doch, wie ich bereits eingestanden habe, die grotesken Manifestationen der scheußlichen Seite der Natur mit stoischer Seelenstärke ertragen. Das hier war viel schlimmer; es erschütterte die Grundfesten meiner Hingabe an ihn.
    Der Mann, mit dem – für den – ich lebte, der, für den ich mein Leben riskiert hatte und es beim geringsten Anlass ohne zu zögern wieder getan hätte, der Mann, den ich bei mir nicht »den Monstrumologen«, sondern » den Monstrumologen« nannte, verhielt sich weniger wie ein Wissenschaftler, sondern eher wie ein Verschwörer zu einem Verbrechen.
    Es blieb nur noch eins zu tun, bevor ich die Flucht aus dem Keller ergriff.
    Ich wollte es nicht, und nichts verlangte von mir, dass ich es tat. Genau genommen drängte jede Faser in mir zu sofortigem Rückzug. Aber es gibt Gedanken, die wir im vorderen Teil unseres Gehirns denken, und dann gibt es welche, deren Ursprünge viel tiefer liegen, im animalischen Teil, dem Teil, der sich an die Schrecken der offenen Savanne bei Nacht erinnert, dem ältesten Teil, der vor der primordialen Stimme da war, die die Worte sprach: ›Ich bin.‹
    Ich wollte nicht in diesen glitzernden Sack zerstückelter Überreste hineinsehen. Ich musste hineinsehen.
    Indem ich mich zur besseren Wahrung des Gleichgewichts auf die Tischkante stützte, stellte ich mich auf die Zehenspitzen, um hineinzuschauen. Wenn Funktion Form folgte, konnte es nur einen Zweck für dieses seltsame – und seltsam schöne – Objet trouvé geben.
    »Will Henry!«, rief eine schneidende Stimme hinter mir. Mit zwei Schritten war er bei mir, riss mich zurück wie von einem Abgrund und wirbelte mich herum, bis er mir ins Gesicht blickte. Seine Augen leuchteten vor Wut und – etwas, das ich selten darin sah – Furcht.
    »Was zur Hölle machst du da, Will Henry?«, schrie er mir ins nach oben gerichtete Gesicht. »Hast du es angefasst? Antworte mir! Hast du es angefasst? « Er ergriff meine Handgelenke, so wie er es bei Kendall gemacht hatte, hielt sich meine Fingerspitzen dicht vor die Nase und schnüffelte geräuschvoll, besorgt.
    »N – nein«, stammelte ich. »Nein, Dr. Warthrop; ich habe es nicht angefasst.«
    »Lüg mich nicht an!«
    »Ich lüge nicht. Ich schwöre, ich habe nicht; ich habe es nicht berührt, Sir! Ich war bloß … ich war … es tut mir leid, Sir; ich bin eingeschlafen, und dann bin ich aufgewacht, und ich dachte, ich hätte Sie hier unten gehört …«
    Einige quälende Momente lang erforschten seine dunklen Augen aufmerksam die meinen. Nach und nach wich etwas von der Angst, die ich dort widergespiegelt sah. Seine Hände fielen an die Seiten. Seine Schultern entspannten sich.
    Er trat um mich herum an den Tisch und sagte energisch, wobei er wieder fast wie ganz der Alte klang: »Nun, was geschehen ist, ist geschehen. Du hast es gesehen; da kannst du mir genauso gut zur Hand gehen. Und um deine Frage zu beantworten …«
    »Meine Frage,

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