Der Monstrumologe Und Die Insel Des Blutes
aus, als würde er es in den nächsten paar Stunden tun. Wenn ich noch einen Moment länger bliebe, würde vielleicht mein Herz explodieren. Zu diesem Zeitpunkt wollte ich nicht bloß einen Blick auf Kearns‘ besonderes Geschenk werfen – ich musste .
Ich schlich mich durch den Flur und warf einen verstohlenen Blick in die Bibliothek, wo ich den Monstrumologen entdeckte, der am Tisch saß, der Kopf auf den verschränkten Armen ruhend. Leise rief ich seinen Namen. Er rührte sich nicht.
Nun , dachte ich, entweder schläft er oder er ist tot. Im ersten Fall wage ich es nicht, ihn zu wecken. Im zweiten kann ich es nicht!
Schnell und leise stahl ich mich zur Kellertür und zauderte nur einen halben Atemzug lang, bevor ich hinunterstieg.
Und in mir das sich Loswickelnde.
Nur ein kurzer Blick! , versprach ich mir selbst. Ich war zu dem Schluss gekommen, dass es sich in der Tat um einen sehr sonderbaren Preis handeln musste, wenn mein Herr so geheim damit tat. Und, um ehrlich zu sein, mein Stolz war verletzt. Ich interpretierte seine Heimlichtuerei als Mangel an Vertrauen – nach allem, was wir gemeinsam durchgemacht hatten! Wenn er mir schon nicht vertrauen konnte, dem einzigen Menschen auf der Welt, der ihn ertrug, wem dann?
Der Arbeitstisch war mit einem schwarzen Tuch abgedeckt. Darunter lag der Preis von Dr. John Kearns; ich konnte die Umrisse des Kastens sehen, in dem er angekommen war. Nun, warum hatte der Monstrumologe ihn abgedeckt? Offensichtlich um ihn vor neugierigen Augen zu verbergen – und es gab nur ein Augenpaar im Haus, das neugierig sein würde.
Meine Wut und meine Scham verdoppelten sich. Wie konnte er es wagen! Hatte ich mich nicht immer wieder bewiesen? War ich nicht immer ein Muster an bedingungsloser Loyalität undunerschütterlicher Hingabe gewesen? Und das war mein Lohn? Die Unverfrorenheit dieses Mannes!
Ich hob nicht behutsam einen Zipfel an und warf einen verstohlenen Blick auf das, was darunterlag. Ich riss das Tuch zurück; es knallte wütend in der kalten Luft, als es herunterfiel.
Drei
»Die Erhörung eines ungesprochenen Gebets«
Ich rang nach Luft; ich konnte nicht anders. Ich mochte mir auf verdrehte Weise etwas auf meine Verwandlung vom naiven Jungen zum lebensüberdrüssigen Lehrling eines Monstrumologen eingebildet haben, morbid glücklich mit der Schale sein, die um meine zarten Gefühle gewachsen war, aber das hier legte mich bloß, enthüllte den primordialen Urmenschen, der noch immer in uns allen lebt, den, der voller Entsetzen die unendliche Weite des Abendhimmels schaut und das starre Auge des seelenlosen Monds. Das Wort des Doktors dafür war ›prächtig‹ gewesen. Es war nicht das Wort, das ich gewählt hätte.
Aus größerer Entfernung und bei schwächerem Licht hätte es möglicherweise einem Stück alter Töpferware geähnelt, einer großen Servierschüssel aus Ton vielleicht – wenn auch einer, die von einem Blinden oder einem Töpfer, der das Handwerk noch lernte, angefertigt worden war. Es war, in Ermangelung eines besseren Wortes, klumpig . Die Seiten bauschten sich; der Rand war uneben; und der Boden war leicht konvex, wodurch es sich unsicher auf eine Seite neigte.
Aber die Entfernung war nicht groß und das Licht nicht schwach; aus nächster Nähe und deutlich sah ich das Material, mit dem dieser sonderbare Behälter konstruiert worden war. Ich hatte von Warthrop genug über Anatomie gelernt, um ein paar der Dinge identifizieren zu können, die diese verstörende Wirrnis von Überresten bildeten, die mit nahezu unfassbarer Komplexität zusammengeflochten waren – da eine proximalePhalanx, hier eine entzweigebrochene Kinnlade –, aber andere waren so mysteriös – und nahezu so nichtssagend – wie Teile eines Puzzles, die jemand in den vier Ecken eines Zimmers verstreut hatte. Man zerfetze einen Menschen und reiße ihn in Stücke, die nicht größer als der eigene Daumen sind, und sehe, wie viel man von ihm noch erkennen kann. Ist das ein Haarbüschel – oder die fadenartige Sehne eines Muskels, der sich schwarz verfärbt hat? Und dieses formlose Stück ins Purpur spielender Substanz da – ein Teil seines Herzens oder doch eher ein Brocken seiner Leber? Gesteigert wurde die Schwierigkeit durch die Verflechtung der vielfältigen Teile. Man stelle sich ein gewaltiges Rotkehlchennest vor, das nicht aus Zweigen und Blättern, sondern aus menschlichen Überresten gebaut ist.
Genau , dachte ich. Keine Schüssel – ein Nest! Das ist
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