Der Mord zum Sonnntag
sie, daß sie von nun an Glück haben würden.
Sie stellte fest, daß der Wagen nicht in der Auffahrt
stand, und erriet den Grund. Wahrscheinlich parkte er vor
der Harmonie-Bar. Sie schaffte es, Ben Gump an der Tür
abzuschütteln, indem sie ihm überschwenglich dafür
dankte, daß er sie abgeholt hatte, aber die deutlichen
Hinweise auf eine Tasse heißen, starken Kaffee überhörte.
Dann ging sie direkt ins Schlafzimmer. Wie sie erwartet
hatte, lag Ernie im Bett. Er hatte sich die Decke bis zur
Nasenspitze hinaufgezogen, doch ein einziger Blick
genügte ihr, um festzustellen, daß er einen
ausgewachsenen Kater hatte. «Wenn die Katze aus dem
Haus ist, tanzen die Mäuse auf dem Tisch», seufzte sie.
«Hoffentlich fühlt sich dein Kopf wie ein Fesselballon
an.»
In ihrem Ärger stieß sie gegen den einen Meter großen
Pelikan, den Wee Willie zum Erntedankfest geschickt
hatte und der auf einem Tisch neben der Schlafzimmertür
stand. Bei seinem Sturz riß er eine Tonvase mit, ein
Frühwerk von Wee Willie, und dazu das
Christfestarrangement aus Weihnachtssternen und
blühenden Blumen, das Wilma kunstvoll gebastelt hatte.
Als Wilma die Scherben der Vase zusammengefegt, das
Arrangement wiederhergestellt und den Pelikan, dem jetzt
ein Stück eines Flügels fehlte, auf den Tisch zurückgestellt
hatte, war sie mit ihrer Geduld am Ende. Aber der
Gedanke an den magischen Augenblick, in dem sie
nachsah und feststellte, wie nahe sie dem Gewinn
gekommen waren – vielleicht waren sie diesmal sogar sehr
nahe drangewesen –, brachte ihre übliche gute Laune
zurück. Sie machte sich eine Tasse Kaffee und Zimttoast
zurecht, setzte sich an den Küchentisch und schlug die
Zeitung auf.
Sechzehn glückliche Gewinner teilen sich den
Zweiunddreißig-Millionen-Dollar-Preis, lautete die
Schlagzeile.
Sechzehn glückliche Gewinner. Wenn sie nur einer von
ihnen wäre! Wilma legte die Hand über die Zahlenreihe.
Sie wollte eine Zahl nach der anderen aufdecken – das
erhöhte die Spannung.
1-9-4-7-5 – Wilma holte tief Luft. Ihr Kopf hämmerte.
Die Spannung war beinahe unerträglich, als sie die Hand
wegzog.
Bei ihrem Aufschrei und dem Geräusch des umfallenden
Küchenstuhls setzte sich Ernie kerzengerade im Bett auf.
Das Jüngste Gericht stand bevor.
Wilma stürzte mit strahlendem Gesicht herein. «Warum
hast du es mir nicht erzählt, Ernie? Gib mir das Los! »
Ernies Kopf sank herab. Seine Stimme war ein heiseres
Flüstern.
«Ich habe es verloren.»
Loretta hatte gewußt, daß es unvermeidlich war. Trotzdem
rief der Anblick von Wilma Bean, die mit dem verlegenen,
niedergeschlagenen Ernie im Schlepptau den
schneebestäubten Betonweg heraufkam, bei ihr einen
Augenblick lang Panik hervor. «Vergiß es», sagte sie sich.
«Sie haben keinerlei Beweise. Ich habe meine Spur
vollkommen verwischt», redete sie sich noch einmal ein,
während Wilma und Ernie zwischen den beiden
immergrünen Büschen, die Loretta mit Dutzenden von
Weihnachtskerzen geschmückt hatte, die Stufen zu der
Veranda hinaufstiegen. Loretta hatte sich ihre Geschichte
genau zurechtgelegt. Sie hatte Ernie bis zu seiner Haustür
begleitet. Jeder, der wußte, wie eifersüchtig Big Jimbo
war, würde verstehen, daß Loretta die Schwelle zum Heim
eines anderen Mannes nur dann überschritt, wenn seine
Frau zu Hause war.
Wenn Wilma sich nach dem Los erkundigte, würde
Loretta fragen: «Was für ein Los?» Ernie hatte ihr
gegenüber nichts von einem Los erwähnt. Er war in
seinem Zustand gar nicht fähig gewesen, vernünftig zu
sprechen. Frag Lou. Ernie war nach ein paar Drinks blau
gewesen. Wahrscheinlich war er schon vorher irgendwo
eingekehrt.
Hatte Loretta ein Los für die Weihnachts-Sonderziehung
gekauft? Natürlich hatte sie etliche Lose gekauft. Willst du
sie sehen? Immer, wenn sie daran dachte, nahm sie ein
paar Lose mit. Nie im gleichen Geschäft. Im
Spirituosenladen, im Papiergeschäft – wie es der Zufall
wollte. Und immer nahm sie die Zahlen, die ihr auf
Anhieb einfielen.
Loretta kratzte heftig ihre rechte Hand. Der verdammte
Giftsumach. Sie hatte das Gewinnlos 1-9-4-7-5-2 sicher in
der Zuckerschale ihres besten Services versteckt. Man
hatte ein Jahr Zeit, um seinen Gewinn anzufordern. Knapp
bevor das Jahr zu Ende war, würde sie «zufällig» darüber
stolpern. Mochten Wilma und Ernie doch heulen, daß es
das ihre war.
Es klingelte. Loretta fuhr sich über das leuchtende
Goldhaar, das sie zu einer
Weitere Kostenlose Bücher