Der Mord zum Sonnntag
befestigte. Sie saß da, hörte sich ihre Gespräche mit Brian
an, mit Rooney, mit Emmy, mit den Rumsons.
Was war es, das sie an Carleton Rumson so heftig
irritierte? Systematisch ließ sie die erste Begegnung mit
den Rumsons Revue passieren. An jenem Abend war er
ganz schön frostig, aber als wir am nächsten Morgen mit
ihm zusammenprallten, hatte sich sein Ton gründlich
verändert, er erinnerte mich sogar, daß er das neue Stück
gleich lesen wollte. Brians Worte fielen ihr ein, daß
niemand an Carleton Rumson herankommen könne.
Das ist’s, dachte sie. Er wußte bereits, wie gut das Stück
ist. Er konnte nicht zugeben, daß er es schon gelesen hatte.
Abwarten, bis ich Rooney davon überzeugt habe …
Das Telefon läutete. Verdutzt eilte Alvirah an den
Apparat. Emmy. «Mrs. Meehan», flüsterte sie, «sie
vernehmen Brian und Mr. Rumson immer noch, aber ich
weiß, sie halten Brian für schuldig.»
«Ich hab’ gerade alles ausgetüftelt», jubelte Alvirah.
«Wie gut konnten Sie Carleton Rumson gestern im Flur
sehen?»
«Recht gut.»
«Dann konnten Sie doch auch sehen, daß er das
Manuskript bei sich trug, stimmt’s? Ich meine, wenn er
die Wahrheit gesagt hat, daß er nur runtergegangen ist, um
Fiona die Leviten zu lesen, dann hätte er das Manuskript
garantiert nicht mitgenommen. Aber wenn sie sich darüber
unterhalten haben und er darin gelesen hat, bevor er sie
umbrachte, dann hätte er’s eingesackt. Emmy, ich glaub’,
ich hab’ den Fall gelöst.»
Emmys Stimme war kaum vernehmbar. «Mrs. Meehan,
ich schwöre, Carleton Rumson hat nichts bei sich
getragen, als ich ihn sah. Was ist, wenn mir Rooney nun
diese Frage stellt? Mit einer wahrheitsgemäßen Antwort
würde ich doch Brian schaden.»
«Sie müssen die Wahrheit sagen», erwiderte Alvirah
bekümmert.
«Keine Sorge, mein Gehirn arbeitet immer noch auf
Hochtouren.»
Sie legte auf, schaltete den Kassettenrecorder wieder ein
und begann die Bänder nochmals abzuspielen. Sie hörte
ihre Gespräche mit Brian mehrfach ab. Er hatte ihr doch
etwas erzählt, das ihr anscheinend entgangen war …
Schließlich stand sie auf, weil sie fand, daß ein wenig
frische Luft nicht schaden könnte. Frisch ist die New
Yorker Luft ja nun nicht gerade, dachte sie, als sie die
Terrassentür öffnete und hinaustrat. Diesmal ging sie
geradewegs zur Brüstung und legte die Finger auf das
Geländer. Wenn Willy hier wäre, würde er ’nen Koller
kriegen, dachte sie, aber ich werde mich nicht aufstützen.
Der Blick über den Park hat nur so etwas Beruhigendes.
Ich glaube, der Tag, an dem Mama als Sechzehnjährige
eine Schlittenfahrt durch den Park gemacht hat, zählte zu
ihren schönsten Erinnerungen. Immer wieder hat sie davon
gesprochen. Ihre Freundin Beth hatte sich das zum
Geburtstag gewünscht.
Beth!
Beth!
Das ist es, dachte Alvirah. Wieder hörte sie Brian sagen,
Fiona Winters wolle die Rolle der Diane spielen. Dann
verbesserte er sich – ich meine, die Beth. Willy erkundigte
sich, wer das sei, und Brian antwortete, so hieße die
weibliche Hauptdarstellerin in seinem neuen Stück, er
habe den Namen in der Endfassung geändert. Alvirah
schaltete ihr Mikrofon ein und räusperte sich. Sie sollte
das Ganze lieber festhalten. Dann könnte sie auf ihre
unmittelbare Reaktion zurückgreifen, wenn sie den Artikel
für den Globe schrieb.
«Es war nicht Rumson, der Fiona Winters umbrachte»,
sagte sie kategorisch. «Es war seine Frau, die ‹einäugige
Vicky›. Sie war es, die Rumson drängte, das Stück zu
lesen. Sie war es, die sagte, Emmy sollte die Diane
spielen. Sie wußte nicht, daß Brian den Namen geändert
hatte. Sie muß mitgehört haben, als Fiona ihren Mann
anrief. Sie kam, während er auf seine Gespräche aus
Europa wartete. Sie wollte nicht, daß Fiona sich abermals
an Rumson heranmachte, brachte sie um, nahm dann das
Manuskript an sich. Sie hat die Kopie gelesen, nicht die
Endfassung.»
«Wie überaus scharfsinnig, Mrs. Meehan.»
Die Stimme erklang unmittelbar hinter ihr. Alvirah
spürte kräftige Hände an ihrem Kreuz. Sie versuchte sich
umzudrehen und fühlte, wie ihr Körper gegen Brüstung
und Geländer gedrückt wurde. Wie ist Victoria Rumson
hier hereingekommen, überlegte sie, dann fiel ihr blitzartig
ein, daß Brians Schlüssel auf dem Tisch gelegen hatte. Mit
voller Kraft versuchte sie, sich auf ihre Angreiferin zu
werfen, doch da traf sie ein Schlag seitlich am Hals und
betäubte sie. Sie wurde herumgewirbelt
Weitere Kostenlose Bücher