Der Mord zum Sonnntag
vielleicht etwas helfen.
Ich schicke Dick nach hinten, sobald wir auf Kurs sind,
damit er Ihnen beim Dinner behilflich ist.»
«Bloß nicht! Ich meine, ein kaltes Abendessen und nur
sechs Passagiere, das schaff ich allein.»
Als sie in der Kabine an dem Mann vorbeikam, der beim
Start Ängste hatte, lächelte sie ihm aufmunternd zu. Das
Flugzeug hatte die Rollbahn erreicht, und die Motoren
dröhnten ohrenbetäubend. Sämtliche Passagiere, der
Polizeichef eingeschlossen, starrten aus den Fenstern. Sie
ging nach hinten, klopfte an die Tür der Herrentoilette und
rief leise nach Joe.
Geräuschlos schlüpfte er heraus. Bei dem trüben Licht
glich seine magere Gestalt mehr einem Schatten als einem
menschlichen Wesen. Sie flüsterte ihm ins Ohr: «Der
letzte Sitz rechts. Legen Sie sich auf den Boden, ich werfe
Ihnen dann eine Decke über.»
Er bewegte sich vorsichtig und verschwand unter dem
Sitz. Er schleicht wie eine Katze, befand Carol. Sie dachte
an den weichen Flaum, der ihr Gesicht gestreift hatte, und
verbesserte sich – wie ein ganz junges Kätzchen …
Es fiel ihr schwer, in dem abhebenden Flugzeug die
Balance zu halten, sie stützte sich mit einer Hand an der
Wand ab, ließ sich auf dem Gangplatz neben Joe nieder,
angelte sich eine Decke aus dem Gepäckfach, breitete sie
über ihn. Bei flüchtiger Betrachtung mochte das hingehen;
wer genauer hinsah, würde sich bestimmt über die
merkwürdigen Wölbungen wundern.
Sie heftete ihre Blicke unverwandt auf die Leuchtschrift
über der Kabinentür. Solange sie den Passagieren
signalisierte, angeschnallt zu bleiben und das Rauchen zu
unterlassen, gewährte ihr das eine Atempause. Aber wenn
sie erlosch, mußte sie die normale Kabinenbeleuchtung
wieder einschalten, was Joes Versteck zur Farce machen
und die Fluggäste animieren würde, ihre Plätze zu
verlassen.
Zum erstenmal dachte sie ernsthaft darüber nach, welche
Folgen sich aus ihrer Hilfsaktion für sie ergeben würden.
Sie überlegte, was Tom wohl dazu sagen würde, und
erinnerte sich verzagt an seine Reaktion im vergangenen
Jahr, als sie in seinem Flugzeug Ärger verursacht hatte …
«Was ist denn schon dabei, Tom», hatte sie protestiert,
«daß ich das arme Kind seinen Hund aus dem Korb
nehmen ließ? Die Kleine reiste mutterseelenallein, sollte
von irgendwelchen Fremden adoptiert werden. Es war
Nacht und dunkel in der Kabine. Kein Mensch hätte was
davon erfahren, wenn nicht diese Frau zu ihr
rübergegangen wäre und für diese Ruhestörung einen
Hundebiß abbekommen hätte.»
Und Tom hatte entgegnet: «Vielleicht lernst du es eines
Tages, dich an die Grundregeln zu halten. Bei der Frau
handelte es sich um eine Aktionärin, und die hat Cain in
der Chefetage alarmiert. Ich habe die Verantwortung dafür
übernommen, daß der Hund herausgelassen wurde, weil
ich genau wußte, das würde mich nicht den Job kosten.
Aber nach sieben Jahren ohne jede Beanstandung bin ich
nicht sonderlich erbaut, daß meine Personalakte jetzt einen
Verweis enthält.»
Beklommen erinnerte sie sich, was sie ihm darauf ins
Gesicht geschleudert hatte: Sie sei entzückt, daß er nun
keine tadellose Personalakte mehr habe, nach der er sich
richten müsse – vielleicht würde er jetzt lockerer und
benähme sich menschlich – vielleicht würde er die
Dienstvorschriften in Zukunft nicht mehr als Bibel
betrachten. Es fiel nicht schwer, sich an jede Einzelheit
ihres Wortwechsels zu erinnern, so oft hatte sie den Streit
in Gedanken rekapituliert.
Sie versuchte sich auszumalen, was Charley Wright,
Flughafendirektor in Frankfurt, wohl tun würde. Auch für
Charley hatte die Firma unbedingten Vorrang. Er schätzte
es, wenn die Flugzeuge pünktlich starteten und landeten
und die Passagiere zufrieden waren. Charley wäre
bestimmt außer sich, der Zentrale einen blinden Passagier
melden zu müssen, und würde sie zweifellos auf der Stelle
vom Dienst suspendieren oder sie gleich hinauswerfen.
Joes Decke bewegte sich leicht, und sie schaltete prompt
wieder auf das Problem um, ein sicheres Versteck für ihn
zu finden. Das Flugzeug hob ab. Als die Leuchtschrift
erlosch, erhob sie sich langsam. Widerstrebend betätigte
sie den Wandschalter und ließ die gedämpfte
Kabinenbeleuchtung hell aufflammen.
Sie begann, Zeitungen und Zeitschriften zu verteilen. Der
Passagier mit den Angstzuständen vor dem Start wirkte
jetzt völlig entspannt.
«Die Tablette hat prima geholfen, Stewardeß.» Er ließ sich
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