Der Mord zum Sonnntag
Jogging am Strand.
«Schau mal, da ist sie!»
«Wer denn?»
«Cynthia Lathem. Sie ist seit wenigstens anderthalb
Stunden auf Trab. Ich wette, sie ist halb verhungert.»
Als Cynthia vom Strand heraufkam, wurde sie an den
Stufen zu ihrer Terrasse von Alvirah abgefangen, die sich
strahlend bei ihr einhakte. «Ich koche den besten Kaffee
weit und breit und habe frisch ausgepreßten Orangensaft
zu bieten. Und warten Sie, bis Sie erst die BlaubeerMuffins kosten.»
«Ich möchte wirklich nicht …» Cynthia versuchte einen
Rückzieher, wurde aber über den Rasen dirigiert. Willy
sprang auf und rückte eine Bank für sie zurecht.
«Wie steht’s mit Ihrem Handgelenk?» erkundigte er
sich. «Alvirah war ganz außer sich, daß Sie sich’s
ausgerechnet bei ihrem Besuch verstaucht haben.»
Cynthia spürte, wie die aufsteigende Verärgerung sich
wieder legte, als sie die echte Wärme und Herzlichkeit in
beiden Gesichtern entdeckte. Willy – mit seinen runden
Wangen, der offenen, freundlichen Miene und dem vollen
weißen Schopf – erinnerte sie an Tip O’Neill. Das sagte
sie ihm.
Willy strahlte. «Eben in der Bäckerei hat das auch wer
festgestellt. Da gibt’s nur einen Unterschied – Tip hat als
Sprecher des Repräsentantenhauses in der Öffentlichkeit
gewirkt, während ich die stillen Örtchen in Ordnung
gebracht habe. Ich war mal Klempner, jetzt im
Ruhestand.»
Cynthia trank frischen Orangensaft und Kaffee, aß den
Muffin und hörte erst ungläubig, dann respektvoll zu, als
Alvirah von dem Lotteriegewinn erzählte, von ihrem
Aufenthalt in Cypress Point Spa, von ihrer Mitwirkung
beim Aufspüren eines Mörders, dann von der Kreuzfahrt
nach Alaska und der Entlarvung des Täters, der ihren
Tischnachbarn umgebracht hatte.
Sie ließ sich eine zweite Tasse Kaffee nachschenken.
«Sie haben mir das doch aus einem bestimmten Grund
erzählt, nicht wahr?» fragte Cynthia. «Sie haben mich
gestern wiedererkannt, richtig?»
Alvirah wurde ernst. «Ja.»
Cynthia schob ihren Stuhl zurück. «Sie waren sehr nett
und möchten mir sicher helfen, aber das können Sie am
besten dadurch tun, daß Sie mich in Ruhe lassen.»
Alvirah folgte der schlanken jugendlichen Gestalt mit
den Blicken, als sie den Rasen überquerte. «Sie hat ein
bißchen Sonne abgekriegt heut früh», bemerkte sie. «Steht
ihr prima. Ein paar Pfund mehr, und sie ist ’ne richtige
Schönheit.»
«Mit Rausfüttern ist da nichts, und die Sonne kannst du
ihr auch nicht auf Bestellung liefern», kommentierte
Willy. «Du hast doch gehört, wie sie explodiert ist.»
«Ach, vergiß es. Wenn Charley mir die
Prozeßunterlagen schickt, laß ich mir schon was einfallen,
wie man ihr helfen kann.»
«Großer Gott», stöhnte Willy. «Ich hätt’s wissen
müssen. Da wären wir wieder mal soweit.»
«Keine Ahnung, wie Charley so was hinkriegt», seufzte
Alvirah ein paar Stunden später. Die Eilsendung war
unmittelbar nach dem Frühstück angekommen. «Er hat
alles geschickt, bis auf ein Protokoll der
Gerichtsverhandlung, und das beschafft er innerhalb der
nächsten zwei Tage.» Sie spitzte den Mund.
Willy ruhte auf dem gepolsterten Liegestuhl, den er sich
als Stammplatz erkoren hatte, und war fast fertig mit dem
Sportteil der vierten der am Morgen mitgebrachten
Zeitungen. «Die Mets muß ich wohl abschreiben», klagte
er.
Alvirah hörte nicht zu. «Willy», begann sie, und er
erkannte am Ton, daß sie ihm eine wichtige Frage stellen
wollte. «Glaubst du, das Mädchen ist verrückt?»
Er wußte sofort, wen sie meinte. «Ich finde, sie ist ein
nettes Ding. Mir tut sie leid.»
«Mir auch. Hältst du sie für intelligent?»
«Ein ganz heller Kopf. Das merkt man doch gleich.»
«Du hast recht. Ich hab’ jetzt sämtliche Zeitungsartikel
über den Fall noch mal gelesen. Nun frag’ ich dich: Wieso
tischt eine intelligente junge Person, auch mit neunzehn,
eine derart haarsträubende Lügengeschichte auf, wo sie
zur Tatzeit war? Müßte sie nicht entweder übergeschnappt
oder dämlich sein, wenn sie darauf setzt, daß ein Fremder
ihretwegen lügt?» Alvirah schüttelte den Kopf.
«Jemand lügt hier, das ist sonnenklar, aber nicht
Cynthia, da bin ich absolut sicher. Also warum ist sie
hergekommen?» Sie jubelte jetzt förmlich. «Ich verrät’s
dir, Willy. Sie möchte immer noch rausfinden, was in der
Nacht damals mit Stuart Richards passiert ist. Und sie will
ihren Namen reinwaschen.» Alvirah strahlte. «Ist das nicht
ein
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