Der Mord zum Sonnntag
verblüfft gefragt:
«Soll das etwa heißen, daß du sechzehn Monate nach
dem Tod dieser Frau immer noch an ihre Fans schreibst?
Bist du verrückt?»
Nein, das bin ich nicht, sagte Dora bei sich, während sie
– unter genauer Beachtung des Tempolimits – durch das
Weingebiet fuhr. Trotz der ermüdenden Hitze herrschte
bereits reger Ausflugsverkehr, vollbesetzte Autobusse
unternahmen die üblichen Rundfahrten durch die
Weingärten, Weinproben inbegriffen.
Sie hatte sich erst gar nicht bemüht, Elsie klarzumachen,
daß sie mit einigen persönlichen Zeilen an die Menschen,
die Leila geliebt hatten, zugleich auch ihren eigenen
Schmerz etwas linderte. Ebensowenig hatte sie ihrer
Kusine den Grund verraten, weshalb sie den schweren
Postsack mitgeschleppt hatte. Sie durchsuchte ihn, um
festzustellen, ob Leila noch weitere anonyme Briefe
bekommen hatte.
Der eine, den sie bereits gefunden hatte, war drei Tage
vor Leilas Tod aufgegeben worden. Die Adresse auf dem
Umschlag und der Text der Mitteilung waren auf die
bekannte Art zusammengestückelt. Der Absender hatte die
einzelnen Schnipsel aus Zeitschriften und Zeitungen
herausgeschnitten. Der Inhalt lautete:
Leila Wie oft soll ich Ihnen denn noch schreiben? Können
Sie nicht kapieren, daß Ted Sie satt hat? Seine neue
Flamme ist bildschön und viel jünger als Sie. Die passende
Smaragdkette zu dem Armband, das er Ihnen geschenkt
hat, trägt sie jetzt, das wissen Sie ja schon von mir. Er hat
das Doppelte dafür bezahlt, und sie steht ihr zehnmal
besser. Wie ich höre, ist Ihr Stück ein Reinfall. Sie sollten
wirklich Ihren Text lernen. Ich melde mich bald wieder.
Ein Freund
Bei dem Gedanken an diesen Wisch und die
vorangegangenen geriet sie wieder in Rage. Wie tief
mußte das Leila getroffen haben …
Sie hatte wohl am schärfsten erkannt, wie schrecklich
verletzlich Leila war, hatte begriffen, daß dieses zur Schau
getragene Selbstbewußtsein, dieses strahlende Image
nichts als Fassade war, hinter der sich ein zutiefst
unsicheres Wesen verbarg.
Sie erinnerte sich an eine Szene, die sich zu Anfang ihrer
Tätigkeit bei Leila abgespielt hatte. Elizabeth war zu ihrer
neuen Schule abgereist, und Sammy hatte Leila bei der
Rückkehr vom Flugplatz erlebt – in Tränen aufgelöst,
verlassen, völlig niedergeschmettert.
«Meine Güte, Sammy, ich kann’s nicht fassen, daß ich
Spatz womöglich monatelang nicht sehe», schluchzte sie.
«Aber ein Schweizer Internat müßte doch für sie eine tolle
Sache sein? Ein himmelweiter Unterschied, wenn ich an
meine sogenannte Alma Mater in Lumber Creek denke.»
Und dann zögernd: «Sammy, heute abend möchte ich
nichts unternehmen. Könnten Sie hierbleiben und mit mir
essen?»
Die Jahre vergehen so schnell, dachte Dora, als abermals
ein Bus sie ungeduldig hupend überholte. Ihr schien, als
erinnere sie sich an diesem Morgen besonders deutlich an
Leila. An Leilas Eskapaden, an die Sorglosigkeit, mit der
sie das Geld ebenso schnell wieder ausgab, wie sie es
verdient hatte. An Leilas zwei Ehen … Sie hatte Leila
inständig gebeten, den zweiten nicht zu heiraten. «Haben
Sie denn Ihre Lektion noch immer nicht gelernt?» hatte sie
sie beschworen. «Ein zweiter Parasit – das können Sie sich
doch nicht antun!»
Darauf Leila, die Arme um die Knie geschlungen: «So
schlimm ist er ja gar nicht, Sammy. Er bringt mich zum
Lachen, und das ist immerhin ein Plus.»
«Wenn Sie unbedingt lachen wollen, dann engagieren
Sie sich doch einen Clown.»
Leilas stürmische Umarmung. «Ach Sammy,
versprechen Sie, mir immer alles ins Gesicht zu sagen.
Wahrscheinlich haben Sie recht, aber ich mache eben
keine halben Sachen. Nein, jetzt will ich’s genau wissen.»
Den Spaßvogel loszuwerden hatte sie zwei Millionen
Dollar gekostet.
Leila über Ted: «Sammy, das kann einfach nicht dauern.
So wunderbar ist niemand. Was sieht er bloß in mir?»
«Sind Sie übergeschnappt? Schauen Sie denn nicht mehr
in den Spiegel?»
Leila, nach jeder Filmpremiere von Selbstzweifeln
geplagt:
«Sammy, in der Rolle habe ich versagt. Ich hätte sie
nicht annehmen sollen. Sie liegt mir nicht.»
«Reden Sie keinen Unsinn. Ich habe auch die Zeitungen
gelesen. Sie sind großartig.»
Sie hatte für ihre schauspielerische Leistung den Oscar
gewonnen.
In den letzten paar Jahren hatte sie in der Tat in drei
Filmen ungeeignete Rollen zugeteilt bekommen. Die
Sorgen um ihre Karriere wurden zur fixen Idee. Ihre
Angst, Ted zu verlieren,
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