Der Morgen der Trunkenheit
Mädchen. Was soll das? Ich bin doch noch da!«
Ich erhob mich. Die Nächte, in denen wir Hafis’ Gedichte lasen, die Nacht von Manuchehrs Geburt, der Tag meiner Vermählung, der Tag, an dem Rahim wegen der Scheidung in unser Haus gekommenwar, und das Gebrüll meines Vaters, all diese Szenen spulten sich wie ein Film vor meinem inneren Auge ab. Am lebhaftesten erinnerte ich mich an Rahims Beschimpfungen. Die Schimpfwörter, mit denen er mich bedacht hatte. Wie er mich mit ›Bastard‹ und ›Hundesohn‹ angeschrien hatte. Wie er diesen gütigen und geachteten Mann beschimpft hatte. Plötzlich wünschte ich mir, Rahim wäre da, damit ich ihm die Schlagader durchschneiden könnte. Ich beugte mich herab. Meine Hand lag noch in der meines Vaters. Ich fragte, »Agha Djan?…« Wieder war meine Kehle wie zugeschnürt. Ich atmete tief durch und fragte, »Agha Djan… haben Sie… mir verziehen?«
Wäre ich doch verstummt und hätte ihn nicht gefragt. Seine Augen füllten sich mit Tränen. Er drückte fest meine Hand, die Hand einer Beschämten, hob sie hoch und küßte sie.
Das Leben nahm wieder seinen gewohnten Gang. Wieder wurde es Frühling, Herbst, Sommer und Winter. Ich war verzweifelt. Ich wünschte mir ein Kind, doch es war nicht möglich. Weshalb mußte ich stets das Unmögliche begehren? Ich beschloß, mich um eine Behandlung zu kümmern. Ich begann mit Hausmitteln und tat alles, wozu man mir riet. Ich suchte ungebildete Dienstmädchen, alte Mütterchen und Quacksalber auf, nichts nützte. Ich wußte es von Anfang an. Ich wußte besser als alle, was ich mir angetan hatte. Ich fürchtete mich, ausgebildete Ärzte aufzusuchen. Ich kannte ihre Antwort im voraus. Dennoch sagte ich Mansur, ich wolle mich ernsthaft um die Heilung kümmern. Er lachte und sagte, »Was für eine gute Idee, Mahbub Djan.«
Aber er schien nicht besonders erfreut. Ich spürte, daß es ihm gleichgültig war. Daß er es nur mir zuliebe sagte. Kinder hatte er, daran mangelte es ihm nicht. Ich wußte das nur zu gut und war erbittert. Nimtadj wußte, daß ich mich um eine Heilung bemühte, und ihre Befürchtungen standen ihr ins Gesicht geschrieben. Ich bat Chodjastehs Ehemann um Hilfe. Er stellte mich einigen Spezialisten unter seinen Kollegen vor. Ich suchte sie auf und saß unruhig in ihren Wartezimmern herum. Der Geruch der Medikamente stieg mir in die Nase und flößte mir Hoffnung ein. Mir klopfte das Herz im Hals wie an dem Tag, an dem ich fröhlich zur Abtreibung in die Südstadt gefahren war. Die Ärzte waren höflich und liebenswürdig. Anfangs lächelten sie alle und waren optimistisch. Sie sagten, für eine jungeDame wie mich bestünde Hoffnung. Nach einer Weile jedoch, wenn ich untersucht worden war und die Arzneien ohne Erfolg eingenommen hatte, verflog ihr Lächeln. Sie wurden ernst und mürrisch. Schüttelten bedauernd den Kopf und stammelten irgend etwas. Ich starrte auf ihre Münder, als wollte ich die positive Antwort aus ihnen herausziehen. Wie eine Angeklagte, die auf den Urteilsspruch des Richters wartet. Begnadigung oder Todesurteil. Sobald sie meine Verfassung bemerkten, wandten sie mir den Rücken zu, um mir nicht in die Augen sehen zu müssen, und sagten ruhig, ich solle die Hoffnung nicht aufgeben. Gott sei groß. Alles sei möglich, wenn Er es wolle. Wieder ging ich zu einem anderen Arzt, abermals eine lange Behandlungsphase und abermals dieselbe Antwort.
Ich war so erschöpft, daß ich jegliche Hoffnung verlor. Ich kränkelte, war überempfindlich geworden und jähzornig. Aber nur Mansur gegenüber. Vor allen anderen nahm ich mich zusammen. Nimtadj behandelte ich respektvoll. Ich hielt mich zurück und weinte nur nachts an Mansurs Seite. Ich machte ihm das Leben schwer und fürchtete, ihn dadurch noch mehr in Nimtadjs Arme zu treiben. Schließlich flüchtete ich mich zu Nozhat, »Nozhat, ich sterbe vor Kummer.«
Sie sah mich traurig an, »Tu’s nicht, Mahbub. Tu dir das nicht an.«
Meine Stimme wurde laut, »Was soll ich denn tun? Ich kann nichts dafür. Ich bin auf Nimtadj eifersüchtig. Ich wünsche mir, daß Mansur leidet und unglücklich ist. Daß Mansur nur mir gehört, nur mit mir zusammenlebt…«
Nozhat schnitt mir das Wort ab und sagte ebenso tadelnd wie tröstend, »Mahbub, daß es dir ja nicht mißfällt, aber du bist streitsüchtig geworden. Du bist aufsässig geworden. Du suchst Streit. Offenbar bist du zur Gelassenheit nicht geschaffen. Du bist wie deine Schwiegermutter geworden. Wie Rahims
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