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Der Morgen der Trunkenheit

Der Morgen der Trunkenheit

Titel: Der Morgen der Trunkenheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fattaneh Haj Seyed Javadi
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Entscheidung akzeptierst und auf sie hörst. Danach steht dir alles frei. Wie du sagst, es ist dein Leben. Wenn du dich ins Feuer werfen willst, dann tu es.«
    Die Mutter stand auf, um das Zimmer zu verlassen. Ihre Tochter, bekümmert und wütend, fragte im trotzigen Ton der verzogenen Jüngsten: »Sind Sie schon wieder beleidigt, Mama? Müssen Sie jedesmal schmollen, kaum daß wir wie zwei vernünftige und gebildete Menschen darüber sprechen wollen?«
    »Ich schmolle nicht, Sudabeh. Ich geh dein Tantchen holen.«
    Sudabeh preßte die Lippen aufeinander. Sie setzte sich auf den Stuhl und bereitete sich auf die Auseinandersetzung mit der Tante vor.
    Die nachmittägliche Wintersonne schien durch den Tüllvorhang auf die farbigen Teppiche im Zimmer. Vaters Hafis-Buch lag aufgeschlagen auf dem Intarsientisch in der Mitte des Zimmers. Sämtliche Gemälde an den Wänden waren Originale. Vaters Bücher bedeckten eine ganze Wand des Wohnzimmers, zusätzlich zu der Bibliothek, die er in seinem Schlafzimmer eingerichtet hatte. Der Gärtner war frühmorgens zum Beschneiden der Bäume und zum Sprühen eines Pflanzenschutzmittels gekommen. Anders als im Sommer wirkte das Schwimmbecken vor dem Haus still und fremd, keine einzige Blüte schmückte die berühmten persischen Rosenbüsche. Kurz und beschnitten standen sie in Erwartung des Frühlings. In diesem Jahr war es glücklicherweise nicht sehr kalt geworden. Die Platanen umstanden den großen Hof wie eine Festung. Die frühwinterliche Sonne tauchte ihre roten und gelben Blätter in ein liebliches Helldunkel. Die Tür, die zum Hof führte, stand einen Spalt weit offen. Ein kalter Windhauch strich durch das Fliegengitter ins Wohnzimmer, in dem Sudabeh jetzt saß. Das junge Mädchen sog ihn gierig ein, denn ihr brannte das Herz in der Brust. Korridor und Wohnzimmer waren mit Parkett ausgelegt, das an den passenden Stellen farbige Woll- und Seidenteppiche bedeckten. Zweifellos war ihre Mutter nicht nur hübsch, sie besaß auch Geschmack. Diese elegant gekleidete, attraktive Frau mit dem hübschen Gesicht, die ihrem Ehemann lieb und teuer war, eine Frau, auf deren bequemesLeben niemals auch nur der Schatten eines Kummers gefallen war – mit Ausnahme der Zeit, in der Vater auf der Straße zum Kaspischen Meer einen Autounfall gehabt hatte, wonach sie wie tot und erst, als es glücklich ausgestanden, wieder aufgelebt war –, diese Frau bewegte sich so, als besäßen ihre wohlgeformten Beine nicht die Kraft, ihr Körpergewicht zu tragen. Mama trug einen schwarzen Plisseerock und eine langärmlige weiße Bluse, über die sie sich eine weiße Kaschmirjacke gehängt hatte. Ihr ergrauendes Haar war kurzgeschnitten und sorgfältig frisiert. Papa gefiel es nicht, wenn sie sich das Haar färbte. Mama hatte seinen Willen respektiert. Behutsam verließ sie das Zimmer, und das Geräusch ihrer orthopädischen Hausschuhe verebbte auf dem Gang, der zu dem Zimmer der Tante führte. Ein zarter Hauch ihres Parfüms blieb im Raum zurück. Im Erdgeschoß gab es außer dem Empfangssalon, dem Eß- und dem Wohnzimmer nur einen einzigen weiteren Raum, das Zimmer von Tantchen. Ein Zimmer, das ein kleines Fenster zum Garten besaß. Die übrigen Räume befanden sich im Obergeschoß, die Schlafzimmer, Vaters Arbeitszimmer und das Zimmer, in dem die Kinder lernten oder spielten. Das Haus zeugte von Geschmack und Sensibilität des Hausherrn. Vater liebte die Kunst und verfaßte Gedichte, außerdem las er viel. Mama malte. Sie war zwar keine sehr begabte Malerin, doch besaß sie Geschmack, und genau das machte sie in Sudabehs Augen noch schuldiger. Wie konnten diese Menschen mit Geschmack, die so viel auf Kunstliebhaberei und Lebenslust hielten, den Zauber ihrer Liebe nicht bemerken und ihre Empfindungen ignorieren? Wie konnten sie ihr die Heirat mit dem Mann verbieten, den sie liebte?
    Es dauerte eine ganze Weile. Sudabeh wurde mit jedem Augenblick zorniger. Mama wollte ihr eine Lektion erteilen. Die denken, ich wäre ein Kind. Laß sie doch sagen, was sie wollen. Ich ... ich ...
    Das tappende Geräusch des Gehstocks ertönte. Tantchen kam mit Mama. Mama hielt sie am Ellenbogen. Tantchen trug Bluse und Rock aus brauner Wolle und dicke Strümpfe. Sie hatte sich ein kleines braun- und cremefarbenes Kopftuch umgebunden und trug einen feinen Karneolring an ihrer runzligen weißen Hand. Ihre hellbraunen Augen, die einst groß und ausdrucksvoll gewesen waren, blickten freundlich hinter der Brille hervor. An den

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