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Der müde Bulle

Der müde Bulle

Titel: Der müde Bulle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joseph Wambaugh
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Gedanken zu machen. Ich kenne das schon in- und auswendig. Meine unzähligen Partner haben es mir oft genug erzählt. Man fängt sich zu fragen an: »Was habe ich falsch gemacht? Stimmt irgend etwas nicht? Ist meiner Frau etwas zugestoßen? Den Kindern?« Solche Bedenken kannte ich bisher nicht. Für mich bedeutete ein Code-Zwei-Ruf, daß ich mich auf die Station begeben mußte und daß sie jemanden für eine besonders unangenehme Aufgabe brauchten. Diesmal war die Wahl eben wieder auf mich gefallen.
    Als ich das Chefbüro betrat, saß Lieutenant Hilliard an seinem Schreibtisch und las die Morgenzeitung. Die zahllosen Falten noch tiefer als sonst in die Stirn gegraben, sah er wie immer richtig gemein aus, wenn er gerade irgendwelche Leserbriefe studierte, in denen über die Polizei hergezogen wurde. Trotzdem mußte er diesen Kram jeden Morgen lesen und sich dementsprechend darüber erbosen.
    »Tag, Bumper.« Er sah von seiner Zeitung auf. »Ein Beamter von der Sitte möchte mit Ihnen reden. Irgendwas wegen eines Buchmachers, den Sie angeschleppt haben.«
    »Ach ja, einer meiner Informanten hat ihm gestern ein paar interessante Dinge erzählt. Vermutlich möchte Charlie Bronski noch einiges mit mir besprechen.«
    »Wollen Sie vielleicht einen Buchmacher einkassieren, Bumper?« spöttelte Hilliard, ehemals selbst ein toller Hecht von einem Polizisten. Er trug sieben Streifen an seinem linken Unterarm, von denen jeder fünf Polizeidienstjahre symbolisierte. Seine schmalen, knotigen Hände waren von stark hervortretenden blauen Adern überzogen. Er litt an Knochenverfall und ging deshalb am Stock.
    »Ich fahre einen Streifenwagen. Da kann ich mich doch nicht um die Angelegenheiten der Sitte kümmern. Dafür habe ich keine Zeit.«
    »Falls Sie mit Bronski gerade etwas aushecken, dann machen Sie mal und nehmen sich genügend Zeit dafür. Schließlich leisten auch die Jungs von der Sitte Polizeiarbeit. Abgesehen davon habe ich noch nicht viele Uniformierte gesehen, die einen Buchmacher aufs Kreuz gelegt haben. Das ist so ziemlich das einzige, Bumper, was Sie bis jetzt noch nicht geschafft haben.«
    »Wir werden sehen, was sich tun läßt.« Ich grinste und ließ Hilliard mit seiner Morgenzeitung allein. Eigentlich hätte der alte Lieutenant schon vor Jahren aufhören sollen, aber jetzt war es zu spät dazu. Er würde es sicher nicht lange überleben, seine Arbeit niederzulegen. Andrerseits richtete er auch nicht mehr viel aus. Er saß mehr oder weniger nur noch herum und palaverte mit ein paar anderen Kerlen herum, die ebenfalls glaubten, die Aufgabe der Polizei bestünde im wesentlichen nur darin, möglichst viele schräge Vögel hinter Gitter zu bringen.
    Die jungen Beamten hatten richtig Angst, sich in die Nähe von Hilliards Büro zu wagen, wenn er sich darin aufhielt. Ich habe schon oft mitgekriegt, daß ein Neuling draußen auf dem Gang einen Sergeant bat, ihm ein Protokoll abzunehmen, damit er damit nicht zu Lieutenant Hilliard gehen mußte. Er verlangte ganze Arbeit, und zwar vor allem, was die Protokolle betraf. So etwas hatten diese jungen Spritzer natürlich nie gelernt. Und so gingen die Leute dem Lieutenant möglichst aus dem Weg.
    Charlie Bronski saß gerade mit zwei Kollegen in seinem Büro, als ich eintrat.
    »Was gibt's Neues, Charlie?« fragte ich.
    »Wir hatten wirklich unglaubliches Glück, Bumper. Wir haben die Telefonnummer überprüfen lassen, und sie gehört zu einer Wohnung in der Hobart Street, in der Nähe Eighth. Und Red Scalotta treibt sich ja bekanntermaßen recht häufig in der Eighth Street rum, wenn er nicht gerade in seinem Restaurant in der Wilshire ist. Ich möchte wetten, daß diese Telefonnummer, die du dir von deinem Freund Zoot verraten hast lassen, tatsächlich zu Reba McClains Wohnung gehört. Sie hält sich immer in Reds Nähe auf, aber auch nicht zu nahe. Red ist seit dreißig Jahren glücklich verheiratet und hat eine Tochter in Stanford und einen Sohn, der Medizin studiert. Dieses Arschloch macht richtig auf ehrenwerter Bürger.«
    »Letztes Jahr hat er zwei verschiedenen Kirchen in Beverly Hills jeweils neuntausend Eier spendiert«, warf einer der beiden anderen Beamten ein, der mit seinem schulterlangen Haar und seinem Bart recht freakig aussah. Dazu hatte er noch einen verbeulten Schlapphut auf, der über und über mit Friedensemblemen und Anstecknadeln verziert war, die für die Legalisierung des Drogengebrauchs werben. Sein abgewetztes Jeanshemd hatte keine Ärmel mehr, und

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