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Der müde Bulle

Der müde Bulle

Titel: Der müde Bulle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joseph Wambaugh
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gemeint, daß wir sie ihm wegnehmen sollten.«
    »Natürlich nicht.«
    »Ich dachte nur – wegen dieser Leichenbeschauer. Die lassen doch alles mitgehen, was nicht niet- und nagelfest ist.«
    »Wie lange hat Herky denn schon hier gewohnt?« erkundigte ich mich, ohne mir Mühe zu geben, seinen richtigen Namen herauszufinden. Damit sollten sich die Detectives herumschlagen.
    »Mit Unterbrechungen so an die fünf Jahre, soviel ich weiß. Er war immer allein – hatte keine Freunde, niemanden. Lag immer nur den ganzen Tag auf seinem Zimmer herum und nuckelte an einer Flasche. Der hat ganz schön was gesoffen, kann ich Ihnen sagen. Ich glaube, er hat von der Wohlfahrt gelebt. Er hat seine Miete bezahlt und ein bißchen gegessen und getrunken. Ich käme damit ja nie über die Runden. Darum habe ich zusätzlich noch diesen Job hier.«
    »Haben Sie je mit ihm gesprochen?«
    »Klar, obwohl er eigentlich nie viel zu erzählen wußte. Er hatte keine Familie, war nie verheiratet. Von seiner Verwandtschaft hat er auch nichts erzählt. Der war wirklich allein, wissen Sie? Ich habe immerhin acht Kinder, übers ganze Land verteilt. Ab und zu stecken sie mir sogar ein bißchen was zu, wenn ich nicht mehr zu Rande komme. Jedenfalls wird mir so was nicht passieren.« Er tippte sich mit einem Blick in Herkys Zimmer auf seine knochige Brust. »So Typen wie Herky, die scheren sich um niemanden einen Dreck, und niemand schert sich einen Dreck um sie. Die machen einfach ihren Abgang, indem sie in einem verlassenen Hotelzimmer an die Decke starren. Das sind genau die Typen, die langsam aufschwellen und dann platzen, so daß man sie von der Tapete kratzen kann. Diese Typen wie der alte Herky …« Der Hotelangestellte stellte sich vor, wie Herky platzte, und er fand das wohl so verdammt komisch, daß er in ein kehliges, keuchendes Gelächter ausbrach.
    Ich wartete unten im Vorraum auf den Detective, und während ich mir so die Zeit vertrieb, fing ich an, mir die Wände im Treppenhaus genauer anzusehen. In etwa zwei Metern Höhe zog sich daran eine altmodische Stuckverzierung entlang. Auf dem ersten Treppenabsatz waren ein paar Fingerspuren zu erkennen. Der Rest der Wand war einheitlich dreckig. Ich stieg zu der Stelle hinauf und griff nach dem Vorsprung, den die Stuckverzierung bildete, wobei ich ein kleines, in Toilettenpapier gewickeltes Päckchen ertastete. Als ich es herunternahm und öffnete, enthielt es die typischen Fixerutensilien – Spritze, Nadel, ein Stück dicken Draht, einen angebrannten Löffel und eine Rasierklinge.
    Ich zerbrach die Spritze, verbog die Nadel und warf das Ganze in den Abfalleimer hinter dem wackligen Tisch an der Rezeption.
    »Was ist denn?« wollte Poochie wissen.
    »Eine Spritze.«
    »Von einem Fixer?«
    »Ja.«
    »Wie haben Sie die denn gefunden?«
    »So was lernt man mit der Zeit, mein Lieber.«
    »Nicht schlecht.«
    Der Detective hatte einen ganzen Block voller Formulare dabei, als er schließlich im Hotel ankam. Er machte noch einen ziemlich jungen Eindruck und kam offensichtlich vom College. Ich kannte ihn nicht. Ich unterhielt mich kurz mit ihm, worauf ihn Poochie nach oben führte.
    »Mir wird so was nie passieren!« rief er mir noch von der Treppe herab nach. »Mir wird das bestimmt nicht passieren, daß es mich wie einen verdammten Luftballon zerreißt und die mich dann von der Wand kratzen können!«
    »Na, dann seien Sie mal froh.« Seufzend trat ich ins Freie hinaus, wo ich erst einmal tief Luft holte. Ich glaubte die Leiche immer noch zu riechen und stellte mir vor, wie sich dieser Gestank in meinen Kleidern festsetzte. Daraufhin fuhr ich mit meinem Schwarzweißen so ruckartig an, daß ich in meiner Eile den Geruch von verbranntem Gummi nach mir zog.
    Ich rollte eine Weile durch die Gegend und überlegte, was ich nun tun sollte. Ich mußte wieder an diesen Hoteldieb denken und überlegte, wo ich Link Owens auftreiben könnte, einen geschickten kleinen Hoteldieb, der mir vielleicht etwas über diesen Kerl sagen konnte, der uns nun schon so oft entwischt war. Alle Hoteldiebe kannten sich untereinander. Manchmal trieben sich so viele in den Foyers der besseren Hotels herum, daß man glauben konnte, sie hielten dort gerade eine Diebeskonferenz ab. Dann kam ein Code-Zwei-Funkspruch herein, und ich mußte zur Station zurückfahren.

 

    10.
    Code-Zwei bedeutet, man soll sich beeilen, und jedesmal, wenn ein Polizist auf die Station gerufen wird, fängt er an, sich wegen aller möglichen Dinge

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