Der Müllmann
zwei alte Schränke weggeworfen. Ich weiß nichts von deinem
Geld.«
Und kaum hatte ich es gesagt, fiel es mir wieder ein. Das Geld, das
er beiseitegeschafft hatte. Die Orlovs. Beinahe hätte ich gelacht, als ich
verstand, was geschehen war. Nur dass die Situation jetzt nicht zum Lachen war.
Gernhardt schwankte etwas und wischte sich mit der freien Hand die
schweißnasse Stirn ab.
»Weißt du was?«, sagte er und trat nahe an Marietta heran, um ihr
seine Pistole so fest auf die Schläfe zu drücken, dass sie das Gesicht verzog.
Für einen Sekundenbruchteil sah er nicht zu mir hin, es reichte, damit ich
unser Ausbeinmesser greifen konnte. Ana Lena hatte es gesehen, und sie sah mich
mit weit aufgerissenen Augen an und biss sich auf die Lippen.
»Ich helf deiner Erinnerung auf die Sprünge«, drohte Gernhardt.
Seine Augen glänzten und der Sabber flog ihm beim Sprechen von den Lippen.
Jetzt ist er ganz durchgedreht.
»Zuerst lege ich sie um. Dann schieße ich deiner Nichte nacheinander
in jedes Gelenk, ich fang bei den Knien an, damit sie nie wieder laufen kann.
Und wenn das nicht reicht … dann lege ich euch eben alle um.«
»Entschuldigung«, sagte Frau Kramer von der Tür her. Sie stand mit
einer Hand auf eine Krücke gestützt, hatte sich sorgfältig zurechtgemacht und
trug ein elegantes altes Abendkleid und Schmuck, sogar lange Handschuhe, als ob
sie in die Oper gehen würde. »Aber ich glaube, das wäre eine ganz dumme Idee«,
teilte sie meinem alten Freund ruhig, aber bestimmt mit. »Ich kann das nicht
zulassen.«
Er sah mindestens ebenso verblüfft drein wie wir alle.
»Und wer sind Sie?«, fragte er verdutzt.
»Die Nachbarin. Ich kam her, um die Familie zu mir einzuladen. Es
ist eine besondere Gelegenheit, müssen Sie wissen. Da können Sie nicht stören.«
»Ach ja?«, höhnte Gernhardt und nahm die Waffe von Mariettas
Schläfe, um sie auf die alte Frau zu richten. »Und was wollen Sie dagegen tun?«
»Das«, sagte sie und ihr linker Arm schnellte vor. Etwas flog durch
die Luft und schlug dumpf in Gernhardts Hals ein. Seine Augen weiteten sich,
dann fiel er zur Seite weg, rutschte an der Theke herab und saß vor ihr auf den
Boden, die Pistole glitt aus seinen Händen und fiel neben ihm auf die
Küchenfliesen.
Fast an der gleichen Stelle hatte ich schon einmal jemanden sitzend
vorgefunden.
»Der Trick ist«, sagte Frau Kramer, während sie vorsichtig
heranhumpelte, »die Wirbelsäule genau zu treffen, um das Rückenmark zu
durchtrennen.« Sie beugte sich vor und musterte meinen alten Freund, der sie
mit weiten Augen ansah. »Es dauert ein paar Minuten, bis er tot ist«, teilte
sie uns dann mit und zog sich einen Thekenstuhl heran, um elegant darauf Platz
zu nehmen und sich die Haare zu ordnen.
Sie saßen perfekt.
»Bekomme ich einen Tee, Liebes?«, fragte sie Ana Lena, die zu
Gernhardt hinsah, schluckte und dann nickte. »Und hört auf, mich so
anzustarren. Schaut lieber, wen ich mitgebracht habe.«
»Ich … «, sagte Marietta, doch Frau Kramer schüttelte mahnend den
Kopf. »Alle Fragen werden später geklärt. Jetzt, bitte, verderben Sie uns nicht
den Moment.«
Langsam kam die junge Frau, die ich vorhin flüchtig gesehen hatte,
in die Küche. Sie sah zu Gernhardt hin, der leise röchelte, und wurde noch
bleicher, als sie es schon war, hob aber tapfer das Kinn und kam herein.
Im ersten Moment erkannte ich sie nicht. Sie war schlank, trug ein
modisches Geschäftskleid, besaß schwarze Haare und dunkelbraune Augen, doch …
»Mama!«, rief Ana Lena und rannte ihr entgegen, um sich in die Arme
meiner Schwester zu werfen.
Später,
viel später, saßen wir bei Frau Kramer im Wohnzimmer. Auch Marietta. Berthold
war drüben im Haus, auch wenn er nicht mehr Dienst hatte, und hatte
versprochen, sich um alles zu kümmern. Unsere Aussagen hatte er schon
aufgenommen. Frau Kramer hatte gesehen, dass noch Licht bei uns brannte, und
hatte vorbeikommen wollen, um uns ihre Enkelin vorzustellen. Sie sah durch das
Küchenfenster, was Gernhardt gerade abzog, ging zu ihrem Haus zurück, holte ein
Messer, öffnete die Tür mit ihrem Schlüssel und warf das Messer in Notwehr.
Berthold
hatte nicht einmal mit der Wimper gezuckt als er ihre Aussage aufgenommen
hatte. Schließlich konnte ja jeder so mit Messern werfen.
»Wie?«, fragte ich Frau Kramer, während ich mich an einer zierlichen
Tasse Tee festhielt, die sie mir eingeschenkt hatte. Mir gegenüber, auf dem
alten Sofa, saß Elisabeth eng mit Ana Lena
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