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Der Musentempel

Der Musentempel

Titel: Der Musentempel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Maddox Roberts
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keuschen Aphroditen stets vorgezogen habe. Orpheus griff in die Lyra, und es sah aus, als habe er seinen Gesang eben angestimmt, die perfekte Verkörperung von Musik. Die Tiere waren augenscheinlich im Moment kurz vor dem Sprung verharrt und mit bewundernswerter Liebe zum Detail dargestellt. Der aufgerissene Rachen des Löwen schien gerade noch ein bösartiges Knurren ausgestoßen zu haben und sich jetzt zu entspannen, der Wolf wirkte plötzlich friedlich wie ein Hund, der Bär stand auf den Hinterbeinen und sah verwirrt aus.
    Natürlich wird im wirklichen Leben niemand von einer so gemischten Tierschar gleichzeitig angefallen, aber das war der Mythos, und er war perfekt. Doch Julia wollte die Philosophen bei der Arbeit sehen, also machten wir uns auf die Suche nach einigen von ihnen. Das Problem war nur, daß Philosophen, wenn sie nicht gerade reden, eigentlich gar nichts tun. Meistens stehen oder sitzen sie herum oder wandeln, wie im Falle der Peripatetiker, umher, denken über die Dinge nach und sehen weise aus.
    Wir fanden Asklepiodes, der in einem der Vorlesungssäle zu einer großen Schar von Ärzten über seine Entdeckung sprach, daß bei Fleischwunden die Technik des Vernähens der des Verbrennens mit einem heißen Eisen weit überlegen war. Einer der Anwesenden wagte zu fragen, ob dies eine standesgemäße und schickliche Betätigung für einen Arzt sei, doch Asklepiodes erteilte ihm eine saubere Abfuhr.
    »Noch vor dem göttlichen Hippokrates gab es den Gott der Heilkunst, Asklepios. Und lesen wir nicht in der Ilias, daß sein leibhaftiger Sohn Machaon mit eigenen Händen die Wunden der griechischen Helden versorgt und bei einer Gelegenheit sogar eine Pfeilspitze entfernt hat?« Ich zollte dieser Entgegnung heftigen Beifall, und im Saal erhob sich gelehrtes Gemurmel ob der Stichhaltigkeit seines Arguments.
    Von den Vorlesungssälen kamen wir auf einen großen Hof, der mit rätselhaften Steinobjekten vollgestellt war: großen Spindeln, schiefen Ebenen, Kreisen mit eingravierten Gradeinteilungen sowie einer Reihe von kleineren Werkzeugen, die dem Groma ähnelten, mit dem Baumeister oder Feldvermesser Grundrisse von Gebäuden oder Feldlagern der Legion erstellten.
    »Willkommen in meinem Observatorium«, sagte ein Mann, den ich als Sosigenes den Astronom erkannte. Er lächelte einnehmend, während sich Julia ihrer mittlerweile gewohnten Begeisterung überließ.
    »Mit dem größten Vergnügen werde ich meine Studien ein wenig erläutern, meine Dame«, sagte er, »aber ich muß gestehen, daß es wenig gibt, was noch nutzloser ist als ein Astronom bei Tageslicht.« Und das tat er dann auch. Sosigenes hatte einen ausgesprochenen Sinn für Humor, der den meisten seiner philosophischen Kollegen auffallend abging. Ich ertappte mich dabei, wie ich tatsächlich aufmerksam zuhörte, während er den Zweck seiner Meßgeräte erläuterte, und wie wichtig die Aufzeichnung des Laufs der Gestirne für die Navigation oder zur Bestimmung eines realen Datums im Gegensatz zu den unsicheren Angaben konventioneller Kalender war. Der verläßliche Kalender, den wir heute benutzen, war eine Erfindung eben jenes Sosigenes, obwohl Caesar später den ganzen Ruhm einheimste, als er dessen Berechnungen als Pontifex maximus zum offiziellen Kalendarium erklärte. Ich nahm mir vor, noch einmal abends hierher zu kommen, wenn Sosigenes uns die Rätsel der Sterne noch eindrucksvoller erklären könnte.
    In einem anderen Hof trafen wir den grauenhaften Iphikrates von Chios, der eine Mannschaft von Schreinern und Metallarbeitern herum scheuchte, die ein kompliziertes Modell aus Stein, Holz und Tauen errichtete. Zunächst wandte er sich stirnrunzelnd um, lächelte dann jedoch und verbeugte sich, als er erkannte, daß Rom ihm seine Aufwartung machte.
    »Und woran arbeitest du gerade, Iphikrates?« fragte Amphitryon.
    »Seine Majestät hat mich gebeten, das alte Problem der Verschlammung des großen Kanals zu lösen, der das Mittelmeer mit dem Roten Meer verbindet«, verkündete er stolz.
    »Eine Aufgabe, über der man verzagen könnte«, sagte ich.
    »Aber ihre Lösung würde den Verkehr zwischen dem Westen und Indien unendlich erleichtern.«
    »Schön zu sehen, daß auch außerhalb dieser Mauern jemand eine Ahnung von Geographie hat«, sagte er.
    »Es ist eines der Dinge, die wir Römer für wichtig halten«, erwiderte ich. »Und wie sieht deine Lösung aus?«
    »Die Wurzel des Problems liegt darin, daß der Kanal auf Höhe des Meeresspiegels

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