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Der Musentempel

Der Musentempel

Titel: Der Musentempel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Maddox Roberts
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liegt. Es gibt eine merkliche Strömung von Westen nach Osten, so weit Wasser aus dem Ozean durch die Pforten des Herakles ins Mittelmeer fließt, und es gibt eine von Osten nach Westen durch den Hellespont.« Bei der Erklärung der Rätsel seiner Kunst verlor seine Stimme alle Streitlust, und er schaffte es sogar, ein wenig von seiner eigenen Begeisterung bei der Lösung dieser kniffligen Probleme zu vermitteln.
    »Ich habe für beide Enden der Wasserstraße eine Reihe von wasserdichten Toren und Trockendocks entworfen. Die Docks können geflutet oder geleert werden, um ein Schiff auf die entsprechende Höhe zu hieven; die dazwischenliegende Strecke ohne Strömung kann es gesegelt, gerudert oder gezogen werden.
    So sickert nur noch ganz wenig Schlamm in den Kanal, und die Wasserstraße muß höchstens alle vier oder fünf Jahre ausgebaggert werden.«
    »Wirklich genial«, erkannte ich an. »Würdig eines Nachfolgers des Archimedes.«
    »Ich danke dir«, sagte er eher unwillig. »Aber dem verehrten Archimedes selbst ist es in den Händen der Römer nicht so gut ergangen.« Die Griechen schleppen ständig irgendeinen Groll mit sich rum.
    »Ja, nun, das war ein recht unglücklicher Zwischenfall, aber es war seine eigene Schuld. Wenn römische Soldaten nach einer längeren Belagerung gerade in einer Stadt eingefallen sind, sich austoben, plündern und jeden massakrieren, der irgendeinen Widerstand leistet, sollte man es tunlichst vermeiden, sie auf unverschämte Weise anzusprechen. Wenn er einfach den Mund gehalten und sich wie alle anderen unterworfen hätte, wäre er mit dem Leben davon gekommen. Und auch so war Marcellus die ganze Sache schrecklich unangenehm, und er spendierte dem alten Jungen ein besonders schönes Grabmal.«
    »Und wenn schon«, sagte Iphikrates mit aufeinander gebissenen Zähnen.
    »Aber, gelehrter Iphikrates«, warf Julia hastig ein, »welche anderen staunenswerten Werke beschäftigen dich zur Zeit? In deinen Büchern schreibst du, daß du stets an mehreren Projekten gleichzeitig arbeitest.«
    »Wenn ihr hier entlang kommen wollt«, antwortete er und führte uns in einen angrenzenden großen Raum. Der Raum stand voller Schränke und Tische, die mit Modellen in verschiedenen Stadien der Fertigstellung vollgestellt waren. Die meisten Apparaturen hatten, wie er erläuterte, etwas damit zu tun, Gewichte oder den Wasserspiegel anzuheben. Ich wies auf ein Objekt, das aus einem langen, mit einem Gegengewicht beschwerten Hebelarm mit einer Schlinge an der Spitze bestand.
    »Ein Katapult?« erkundigte ich mich.
    »Nein, ich entwerfe nie Kriegsgerät. Das ist die Weiterentwicklung eines Kranes zum Heben von großen Steinen. Eine Reihe eurer römischen Baumeister haben Interesse daran gezeigt. Er sollte sich bei euren gewaltigen Brücken - und Aquäduktbauten als sehr nützlich erweisen.«
    Während er weiter mit Julia und dem Bibliothekar sprach, spazierte ich durch den Raum und bewunderte die erstaunlich anschaulichen Zeichnungen und Diagramme, bei denen es stets um die konkrete Anwendung von geometrischen und mathematischen Gesetzen zur Lösung eines bestimmten Problems ging. Dies war eine Art der Philosophie, die auch ich zu schätzen wußte, selbst wenn ich den Mann persönlich abstoßend fand. Die offenen Schränke waren voll von weiteren Papyrus- und Schriftrollen. Auf einem der Tische lag eine überdimensionierte Schriftrolle auf einem Rollstab aus dunklem, eingeöltem Olivenholz mit zinnoberrot gefärbten Griffen. Selbst auf den ersten Blick erkannte ich, daß es kein ägyptisches Papyrus war, sondern das hauch dünne Pergament aus Pergamon. Ich nahm die riesige Rolle zur Hand und schickte mich an, sie zu entrollen, als Iphikrates einen gewaltigen Räusperer tat.
    »Verzeihung, Senator«, sagte er und nahm mir das Schriftstück hastig aus der Hand. »Das ist die unvollendete Arbeit eines Kollegen, der sie mir unter der Bedingung überlassen hat, daß sie niemand anders zu Gesicht bekommt, bevor er sie abgeschlossen und veröffentlicht hat.« Während er das Ding in einem kunstvoll verzierten Schrank verschloß, fragte ich mich, was für ein Kollege Iphikrates von Chios irgend etwas anvertrauen würde.
    »Diese Schriftrolle erinnert mich daran«, sagte Julia, die peinliche Situation elegant überspielend, »daß ich mir unbedingt noch die berühmte Bibliothek ansehen will. Und wer könnte mir ein besserer Führer sein als der Bibliothekar persönlich?« Wir verabschiedeten uns von dem schwierigen

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