Der Musentempel
mit der königlichen Familie. Und die traditionelle Methode der Usurpatoren, ihre Macht zu legitimieren, ist eine Heirat mit einem Mitglied eben dieser Familie. Wie du dich erinnern wirst, stehen reichlich Prinzessinnen zur Auswahl. Er könnte sich seinen Weg an die Macht allerdings auch bahnen, indem er als Regent des jungen Ptolemaios auftritt.«
Die Familie Caesars ist schon ein erschreckendes Völkchen.
Sie hatte all das heraus bekommen, seit sie von meinem Zusammenstoß mit Achillas und Memnon gehört hatte, während ich im Serapeion herumgeschnüffelt, Opferfleisch gegessen und lüsterne Blicke auf Priesterinnen mit blutigem Rücken riskiert hatte. Doch diese fesselnden Spekulationen wurden durch unsere Ankunft beim Heptastadion unterbrochen.
»Es ist der längste Damm der Welt«, erklärte ich ihr, während wir hinüber getragen wurden. »Fast eine ganze römische Meile.« Er teilte den großen Hafen im Osten vom EunostosHafen im Westen. Wir hielten auf dem Mittelteil an und bewunderten, wie diverse Schiffe mit aufgerichtetem Mast von einem Hafen in den anderen fuhren.
In unserer Sänfte legten wir den restlichen Weg über den Damm bis zur Insel Pharos zurück, auf der es eine eigene kleine Stadt mit etlichen wunderschönen Tempeln, unter anderem für Poseidon und Isis, gab. Auf der äußersten östlichen Landzunge stiegen wir zu Füßen des Leuchtturms aus unserer Sänfte. Von nahem wirkte er seltsamerweise weit weniger imposant, weil die abgestufte Architektur einem den Blick auf seine große Höhe verwehrte. Man sah lediglich eine ziemlich massive Mauer, die auf den ersten Blick nicht einmal besonders hoch wirkte. Wir gingen hinein, und man zeigte uns den schwindelerregenden Mittelschacht, an dessen Ende ein winziger Lichtpunkt leuchtete, so hoch über uns, daß es schien, als bestünde die Gefahr, daß der Turm an der Unterseite der Sonne kratzte. Unter großem Geschepper wurde in regelmäßigen Abständen ein riesiger Korb aus Holz und Eisen herabgelassen, um Holz für das Richtfeuer zu laden. Da es in Ägypten praktisch kein Holz gab, wurde das meiste von den Inseln und dem Festland im Westen herübergeschifft. Die Asche wurde über eine Rutsche in eine wartende Barkasse geleitet, die sie zur Entsorgung aufs Meer hinausbrachte.
Wir lehnten das Angebot, uns in dem Korb nach oben ziehen zu lassen, dankend ab und begannen statt dessen unseren Aufstieg über eine endlose Rampe, die sich entlang der Innenwände des Fundaments nach oben wand. Für Julia, die erst kürzlich aus dem hügeligen Rom eingetroffen war, eine leichte Übung. Ich hingegen hatte dem süßen Leben gefrönt und stöhnte und schwitzte heftig, als wir auf die erste Terrasse traten. Selbst auf dieser niedrigsten Plattform des Leuchtturms standen wir höher als die höchsten Tempeldächer der Stadt. Über uns erstreckte sich endlos der steinerne Schaft des Turmes, von dessen Spitze kleine Rauchwolken in den klaren Himmel wehten. Julia lehnte sich zurück, schirmte mit der Hand die Augen ab und versuchte, das obere Ende zu erkennen.
»Fast wünschte ich, ich hätte den Mut, bis ganz nach oben zu fahren«, sagte sie wehmütig.
»Es ist unnatürlich für Menschen, sich in derartige Höhen zu begeben«, sagte ich. »Aber wenn du die Treppe dort hochsteigen willst, werde ich gerne hier auf dich warten.«
»Nein«, sagte sie, »die Aussicht von hier ist schon fantastisch genug. Man kann die Stadt überblicken, vom Hippodrom bis zur Nekropolis. Sogar der Mareotis-See ist noch zu erkennen. Und alles liegt so geordnet da wie ein großes Wandgemälde.«
»So will es scheinen«, entgegnete ich. »Es ist schwer zu glauben, daß inmitten all dieser Ordnung etwas Seltsames und Gefährliches geschieht. Rom sieht wenigstens auch so aus wie ein Ort, an dem ständig schreckliche Dinge passieren.«
»So hätte ich das nicht ausgedrückt.«
»Julia, ich möchte die Prinzessin Berenike näher kennen lernen.«
»Warum?« fragte sie argwöhnisch.
»Ich muß mit ihr über Religion reden.«
An jenem Abend wurden wir vom königlichen Hafen in der Bucht von Kap Lochias zu einem prachtvollen Palast auf der Insel Antirhodos gerudert. Dieser Ort war sogar noch frivoler als der große Palast, ausschließlich als Lustschlößchen konzipiert, in dem es weder einen Thronsaal oder irgendeinen anderen Raum gab, in dem man öffentliche Angelegenheiten hätte regeln können. Berenike gab eine weitere ihrer endlosen Parties für die lokale Schickeria. Ptolemaios und
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