Der Musentempel
Sitte.«
Ich bin nie ein übertrieben pingeliger Mensch gewesen, aber irgendwie fand ich die Vorstellung von einer schnellen Nummer im Stehen in einem Grabmal nicht besonders reizvoll. Vor allem, wo Julia sich in derselben Stadt aufhielt. Sie hatte eine übernatürliche Wahrnehmungsfähigkeit, wenn es um andere Frauen ging. Ich glaubte zwar nicht, daß sie mir Onkel Gaius auf den Hals hetzen könnte, aber es wäre unvernünftig gewesen, ein Risiko einzugehen.
»Unser Handel hängt davon ab, ob dein Beweismaterial das hält, was du versprichst«, sagte ich. »Ich möchte die Situation nicht ausnutzen.«
»Wann hat ein Römer es je verpaßt, jeden sich bietenden Vorteil zu nutzen? Wie du willst, aber du verpaßt etwas. Ich wette, du warst noch nie mit einer echten athenischen Hetaira zusammen.« Das stimmte, aber es hatte mich nie beeindruckt zu hören, daß ihre Fertigkeiten auf den Gebieten der Konversation, der Redegewandtheit und der raschen Auffassungsgabe lagen. Es ließ darauf schließen, daß sie die wichtigen Dinge vernachlässigten.
»Vielleicht ein anderes Mal«, sagte ich. »Komm, laß uns zur Stadt zurück kehren.« Wir gingen zurück wie ein Paar, das von einem Besuch bei den Toten heimkehrte. Ich hatte meinen Arm um ihre Schulter gelegt, sie den ihren um meine Hüfte. Auf unser Pochen hin öffnete der Wächter die kleine Sturmpforte und kassierte einen weiteren Obolus.
»Wenn sie daraus ein gebührenpflichtiges Tor machen würden«, bemerkte ich, »wäre Ptolemaios nicht so ein Bettler.«
Sie lachte melodisch, aber das war vielleicht nur eine weitere ihrer Fertigkeiten. »Gefällt dir dein Aufenthalt in Alexandria?«
»Von dem einen oder anderen Anschlag auf mein Leben einmal abgesehen, ganz gut. Wenn man nicht in Rom sein kann, ist dies der einzige Ort, wo es sich aushalten läßt. Was hat dich hierher verschlagen?«
»Ich habe meine Chance gesucht. Ich wurde erzogen und ausgebildet im Haus der Chrysothemis, der berühmtesten
Hetaira in Athen. Ich hatte ein gutes Leben für eine Frau in Athen, was nicht viel heißen will. Athenische Männer verstehen es nicht, selbst adelige Frauen besser zu behandeln als Sklaven, und es ist wenig befriedigend, Männer zu unterhalten, die nur gelegentlich etwas Abwechslung von ihren Knaben suchen.
Also habe ich mein Geld gespart und bin nach Alexandria gekommen. Hier gilt eine echte griechische Hetaira als Statussymbol unter ausländischen Botschaftern, vor allem wenn sie aus Athen stammt. Ich war nacheinander die Konkubine des libyschen, des armenischen, des bithynischen und des letzten pontischen Botschafters zu der Zeit, als Mithridates noch König war. Jetzt diene ich dem Botschafter von Parthia.« »Ich habe noch nie eine Frau mit so eindrucksvollen diplomatischen Referenzen getroffen«, sagte ich. »Doch ich kann verstehen, daß du Rom ansprechender findest.«
»Ja. Meine Zunft ist unnachsichtig. Eine Hetaira ist so lange begehrt, wie sie sich ihre jugendliche Schönheit bewahrt. Wenn die verblaßt ist, geht es steil bergab. Ich habe Frauen gekannt, die binnen zwei Jahre von einer hochbezahlten Hetaira zu einer gewöhnlichen Straßenporna abgesunken sind.«
»Das Leben ist hart«, stimmte ich ihr zu.
»Aber jetzt sieht die Welt schon besser aus«, sagte sie. »Sag mal, hast du das Daphne von Alexandria schon besucht?«
»Ich muß gestehen, daß die Zerstreuungen des Hofes mich so erschöpft haben, daß ich bisher keine Gelegenheit hatte, den anstrengenden Unterhaltungsangeboten der Stadt nachzuspüren.«
»Es ist nicht so berühmt wie das in Antiochia, aber es ist mehr als lebhaft. Bis jetzt hast du das Leben der oberen Schichten gelebt, Römer. Warum kommst du nicht mit mir und probierst, wie es weiter unten zugeht.«
»Jetzt?« fragte ich und blickte zum Vollmond. »Es ist bestimmt fast Mitternacht!«
»Dann kommt gerade Leben in die Bude«, sagte sie. Ich war nie jemand, der der Versuchung lange widerstanden hat. »Führ mich hin!« sagte ich.
In Rom vergessen die Menschen leicht, daß es in anderen Städten so etwas wie ein Nachtleben gibt. Wenn Römer der Sinn nach einer zünftigen Ausschweifung steht, beginnen sie ihre Parties so früh, daß sich jedermann gründlich betrinken kann, bevor es so dunkel wird, daß seine Sklaven ihn nicht mehr nach Hause tragen können. In anderen Städten zünden sie einfach die Fackeln an und machen weiter.
Das Daphne von Alexandria, benannt nach dem berühmten Lustgarten Antiochias, lag in einem lieblichen
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