Der Musentempel
eine schmale Gestalt ins Freie. Sie trug ein langes Gewand in irgendeiner blassen Farbe und hatte sich eine dunkle Palla über den Kopf gezogen. Als sie die Palla zurück schlug, gab sie den Blick auf das Gesicht einer klassischen Schönheit frei. Sie hatte die geraden Brauen und die hochrückige Nase, die von griechischen Bildhauern so bewundert wird. Ihre Lippen waren voll, wenn gleich in einem leicht verbissenen Ausdruck aufeinander gepreßt. Sie hatte große Augen, die hektisch über den Platz huschten.
»Mir ist niemand gefolgt«, erklärte ich ihr. »Ich kenn mich mit solchen Dingen aus.«
»Das hat Julia mir erzählt. Sie sagte, daß du jeden, der gegen Rom konspiriert, so unbarmherzig verfolgst wie die Freundlichen.« Sie benutzte den euphemistischen Namen der gefürchteten Dämonen, weil schon das Aussprechen ihres wahren Namens sie herbeirufen konnte.
»Das schmeichelt mir, doch es ist in der Tat so, daß ich dem Staat in der Vergangenheit schon einige Male zu Diensten sein konnte. Was hast du für mich?«
»Ein bestimmtes Buch, eine große Schriftrolle aus Pergament mit zinnoberroten Griffen.«
»Ich habe eine Kopie davon gelesen, aber ich bin sicher, daß der Bibliothekar der pergamesischen Sammlung für die Rückgabe des Originals sehr dankbar wäre.«
»Du wirst sehen, das Original ist viel interessanter. Es enthält mehr als den Text der Kopie.«
»Und was sollte das sein?«
»Zuerst mein Preis.« Das hatte ich erwartet. »Wieviel?«
Sie lachte. »Ich habe alles Geld, das ich brauche. Aber du gehörst zur großen Familie der Caecilia Metella.«
»Ihnen bleibt nichts anderes übrig als mich als Verwandten anzuerkennen.«
»Plebejer, aber mit einer langen, fast bis zur Gründung der Republik zurückreichenden Reihe von Konsuln, Generalen und hohen Beamten.«
»Du bist sehr gebildet.«
»Also hast du großen Einfluß. Ich möchte nach Rom gehen.
Überall auf der Welt, außer in Rom, gilt eine Frau ohne Beschützer weniger als ein Sklave. In Rom genießt eine Frau mit Besitz den Schutz des Gesetzes, selbst wenn sie keine Bürgerin ist. Als in Rom lebende Ausländerin mit dem Patronat eines Caecilius Metellus werde ich sicher sein, selbst wenn meine Schönheit verblaßt.«
»Überaus weise Voraussicht«, lobte ich. »Du würdest sogar noch besser fahren, wenn du eine Zweckehe mit irgendeinem unbegüterten Bürger eingehen würdest. Es gibt Männer, die das für ein Honorar regelmäßig tun. So behältst du, selbst wenn er sich von dir scheiden lassen sollte, die vollen Bürgerrechte, mit Ausnahme derjenigen, die auf Männer beschränkt sind - wie beispielsweise das Wahlrecht, das Recht, ein Amt zu bekleiden, und so weiter. Deine Kinder wären dann auch Bürger.«
»Vielleicht werde ich das tun. Aber dafür muß ich zunächst mal nach Rom kommen. Eine einfache Schiffspassage würde natürlich reichen, aber ich möchte nicht wieder aus der Stadt vertrieben werden, weil eure Censoren entscheiden, daß illegale Ausländer einen verderblichen Einfluß auf ehrbare Bürger ausüben.«
»Das ließe sich machen«, sagte ich. »Es wäre natürlich leichter, wenn ein Mitglied meiner Familie oder ein Verbündeter das Amt des Praetor Peregrinus innehätte. Es gibt jedes Jahr Wahlen, da sollte es nicht lange dauern, bis ein passender Kandidat in Amt und Würden ist. Ich kann dich natürlich nicht vor den Gerichten beschützen, wenn du ein Bordell betreiben solltest, aber ansonsten müßtest du sicher sein. Vorausgesetzt natürlich, daß das Buch wichtiges Beweismaterial enthält.«
»Oh, das tut es!«
»Hast du es bei dir?« fragte ich. »Nein. Es ist zu sperrig, um es quer durch die Stadt zu tragen.
Wirst du morgen abend in der römischen Botschaft sein?«
»Soweit ich weiß, ja.«
»Morgen findet im Palast ein Empfang für den neuen armenischen Botschafter statt. Orodes wird dort sein, wie auch die meisten anderen Vertreter der parthischen Botschaft. Dann kann ich die Schriftrolle besorgen und zu dir bringen.«
»Tu das. Du wirst es nicht bereuen.«
Sie kam zum ersten Mal näher. Ich bemerkte ihr Parfüm.
Jasmin, glaube ich. »Welche Verpflichtungen umfaßt das Patronat eines Römers im einzelnen?« fragte sie.
»Nichts, was ein Mann nicht in aller Öffentlichkeit tun könnte«, erwiderte ich.
Sie kicherte. »Nun...«, sie wies auf den dunklen Eingang, »wir könnten unseren Handel dort drinnen besiegeln, selbst wenn es das Gesetz nicht so vorsieht. Es ist offenbar eine alte alexandrinische
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