Der Musentempel
Wäldchen im griechischen Viertel unweit des Paneions. Reihen von Fackeln führten zum Eingang, dazwischen boten Händler ihre Waren feil und statteten Nachtschwärmer mit den notwendigen Utensilien für einen festlichen Abend aus. Zu meiner Überraschung herrschte Maskenzwang. Diese Masken waren aus gepreßtem Papyrus, kunstvoll geformt und bemalt, um die verschiedenen Charaktere aus Mythologie und Poesie darzustellen. Sie glichen den Masken der Pantomime, nur den Mund hatte man unbedeckt gelassen, um essen und trinken und alles andere zu erleichtern, was man damit möglicherweise noch tun wollte. Ich wählte die Maske eines Satyrs, Hypatia entschied sich für eine mit den ausschweifenden Zügen einer Nymphe.
Dann brauchten wir Kränze. Um den Hals Girlanden aus Lorbeer- und Weinblättern, und Hypatia wand sich einen Myrthekranz in ihr wunderschönes schwarzes Haar. Ich entschied mich für ein großzügiges Gebinde aus mit Eicheln besetzten Eichenblättern, um meinen römischen Haarschnitt zu verbergen. Nicht, daß ich mir deswegen große Sorgen machte in diesem Lokal, das hauptsächlich von Griechen und anderen Ausländern frequentiert wurde. Es waren kaum Ägypter da.
Am Eingang begrüßte uns ein fetter Zeitgenosse namens Silenus. Er trug ein weißes Gewand, in der Hand eine Trinkschale und auf dem Kopf einen Kranz aus Weinblättern mit herabhängenden Reben. Er rezitierte Willkommensverse im archaischen Griechisch Boiotiens.
»Freunde, betretet dies heil'ge Gelände m it Friede im Herzen und Freude im Sinn. Weder Ares, der vermaledeite, noch Hephaistos, Gott harten Handwerks, finden den Weg hierher. Nur Dionysos mit den Trauben und Apollo samt Leier, nur Eros und sanfte Musen halten die Macht. Hier wird noch jeder zum Freier gemacht, und Trauen zu unbeschwerten Nymphen, also laßt Kummer und Sorgen zurück. Für sie ist kein Platz, willkommen und noch mal willkommen, tretet ein und genießt euer Glück!«
Ich gab dem Mann ein großzügiges Trinkgeld, und wir gingen hinein. Das Wäldchen bestand aus einer Reihe labyrinthartig verbundener Lauben. Parfümierte Fackeln brannten und verströmten wohlriechende Dämpfe. Es war gerade hell genug, um alles deutlich zu erkennen und die Farben leuchten zu lassen, aber auch nicht mehr. Ein Schritt führte aus offener Sicht in vertrauliche Dunkelheit, wenn man wollte. Überall standen kleine Tische, an denen Lampen brannten. Im gedämpften Licht sahen die maskierten Gestalten aus wie Wesen aus einer anderen Welt. Frauen in den verkürzten Tuniken der mythischen Nymphen, als Satyrn verkleidete Männer, Knaben mit spitzen Ohren und in Leopardenfelle der Bacchantinnen gewandete Frauen mit wildem Haar bewegten sich von Tisch zu Tisch, schenkten Wein aus Amphoren aus, servierten Delikatessen auf Tabletts, tanzten oder spielten wüste Musik auf der Syrinx, der Doppelflöte und dem Tamburin. Für römische Augen ging es recht freizügig und hemmungslos zu, aber dieser fröhlichen Ausgelassenheit ging jede fanatische Hysterie ab, wie sie beispielsweise die Riten im Tempel des Baal-Ahriman gekenn zeichnet hatte.
»Komm, wir suchen uns einen Tisch«, drängte Hypatia. Wir begaben uns in das Labyrinth und nahmen so viele Abzweigungen, daß ich ernsthaft daran zweifelte, je wieder herauszufinden. Aber es ist einer der Vorzüge derartiger Lokalitäten, daß es einem im Grunde egal ist, ob man je wieder herauskommt. Schließlich fanden wir einen Tisch, dessen Platte kaum größer als die dröhnenden Trommeln der Musiker war.
Ein Mädchen mit leuchtenden Augen stellte Becher vor uns und füllte sie; Als sie sich vorbeugte, fielen ihre Brüste fast aus der knappen Tunika. Hypatia sah ihr nach, als sie sich tanzend entfernte.
»Schade, daß es so kühl ist«, sagte sie. »Die meiste Zeit des Jahres tragen sie weit weniger.«
Wir hoben unsere Becher und prosteten uns zu. Die Becher waren aus fein poliertem Olivenholz, im Einklang mit der Aura poetischer Ländlichkeit. Der Wein war griechisch und ergo sehr harzig. Ein als Faun verkleideter Knabe brachte eine Platte mit Früchten und Käse. Nach der kunstvoll hergerichteten Kost im Palast, die ein Fest für Augen und Gaumen, jedoch eine Katastrophe für die Verdauung war, war dieses schlichte Mahl eine ausgesprochene Erleichterung.
Eine Truppe argolischer Knaben und Mädchen kam vorbei und führte den uralten Kranichtanz auf. Dann kam ein großer, kräftiger Mann, der als Herkules mit Löwenfell verkleidet war und die Menge mit
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