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Der Musentempel

Der Musentempel

Titel: Der Musentempel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Maddox Roberts
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Gedränge fehlte.
    Einzelne Personen und kleine Gruppen spazierten umher, gingen und kamen von Gastmahlen und Symposien, machten Besuche, Erledigungen und dergleichen. Zu meiner Rechten sandte der Pharos seine Flamme in den Nachthimmel, ein überaus beeindruckender Anblick. Ich kam am PoseidonTempel und dem nördlichen Rand der makedonischen Garnison vorbei, an den beiden gigantischen Obelisken, den endlosen Reihen von Lagerhäusern, die streng nach Papyrus rochen, dem Hauptexportartikel Alexandrias. Am Mondtor ging ich in südlicher Richtung auf der Straße des Soma weiter, und bog dann in westlicher Richtung in die Kanopos-Straße ein.
    Sie endete vor dem Tor der Nekropolis. Ich bestach einen Wärter, es zu öffnen. Er versah einen lukrativen Dienst, denn die Nekropolis war in Alexandria ein beliebter Treffpunkt für heimlich Liebende. »Wie finde ich den Obelisken der Sphinx?« fragte ich ihn.
    »Direkt hinter dem Tor beginnt die Seth-Straße. Folge ihr in westlicher Richtung, bis du auf die Anubis-Straße stößt. Dort gehst du links. Der Obelisk ist noch zwei Ecken weiter. Du kannst ihn nicht verfehlen.« Ich bedankte mich und schlüpfte durch das Tor.
    Eine Nekropole mag einem als Treffpunkt für Liebende seltsam erscheinen, aber die Nekropolis von Alexandria ist anders als andere Friedhöfe. Sie ist genauso angelegt wie die Stadt selbst, mit breiten, geraden Straßen. Der einzige Unterschied besteht darin, daß hier Gräber statt Häuser die Straßen säumen. Der andere Faktor, der für die Nekropolis spricht, sind die Grabmäler, die aussehen wie Miniaturhäuser.
    Ob die gewählte Architektur und die Verzierungen traditionell ägyptisch, griechisch, persisch oder sonstwie waren, der Grundriß war immer im alten ägyptischen Stil gehalten. Man betrat einen kleinen Vorraum wie das Atrium eines Hauses, wo man Opfergaben für die Toten deponieren konnte. In der Stirnwand dieses Raumes befand sich ein winziges Fenster, das es Besuchern ermöglichte, in einen weiteren Raum zu blicken, in dem sich eine Porträtbüste des Toten befand, die nach dem Glauben der Ägypter die Seele der Toten enthielt oder ihr zumindest einen Aufenthaltsort bot, wenn Opfer dargebracht wurden. Außerdem diente sie als Zufluchtsstätte der Seele für den Fall, daß die Mumie zerstört wurde.
    Es waren jene Eingangsräume der anheimelnden Gebäude, die die Nekropolis zum Treffpunkt der Liebenden machte, und bei meinem Gang durch die Straßen hörte ich die üblichen leidenschaftlichen Geräusche eines allseits beliebten Liebesnests.
    In der Nekropolis gab es keine Fackeln, aber der Vollmond sorgte für mehr als ausreichendes Licht. Es wimmelte von den unvermeidlichen Katzen. Man hatte mir erklärt, daß die Nekropolis voller Mäuse wäre, die die Überreste der Opfergaben in den Grabmälern vernaschten, und die wiederum von den Katzen gejagt wurden. Das schien mir ein gerechtes Arrangement zu sein. Wie der Wächter gesagt hatte, hatte ich keine Schwierigkeiten den Obelisken der Sphinx zu finden. Die Granitsäule erhob sich auf einem Sockel, auf dem außerdem ein aus Marmor gehauener Löwe mit menschlichem Antlitz thronte.
    Die geschwungenen Widderhörner, die sein Gesicht krönten, sagten mir, daß es sich um ein weiteres, nach ägyptischem Geschmack aufgepepptes Alexanderporträt handelte.
    Ich ließ meinen Blick am südlichen Rand des Platzes entlang wandern und sah ein imposantes Grabmal im uralten MastabaStil, der angeblich noch vor die Zeit der Pyramiden zurückdatierte. Die älteste noch erhaltene Pyramide ist nichts weiter als eine Reihe von übereinander gestapelten, schmaler werdenden Mastabas. Alte Moden wurden in Alexandria ständig wiederbelebt, genau wie es jüngst in Rom eine Renaissance etruskischer Kunst und Ausstattung gegeben hatte. Ich ging zu dem Grabmal und blieb vor der Tür stehen.
    »Hypatia?« fragte ich leise.
    »Komm herein«, flüsterte eine weibliche Stimme eindringlich. Ich war zwar zur Tollkühnheit entschlossen, bin aber selbst an meinen schlechtesten Tagen nie dumm gewesen.
    »Komm du heraus«, sagte ich. »Wenn sonst noch jemand hier ist, hast du ihn mitgebracht.« Ich packte den Knauf meines Schwertes und war bereit, es beim ersten Anzeichen von Gefahr zu ziehen. Das schwache Licht machte mir nichts aus. Für jemanden, der es gewohnt war, sich um Mitternacht Verfolgungsjagden und Kämpfe in den Gassen Roms zu liefern, war dieser Friedhof wie das Forum bei Vollmond.
    Drinnen rührte sich etwas; dann trat

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