Der Musikversteher
Schritt für Schritt gesucht. Hören wir das argumentative Zentrum (2’20’’– 3’10’’) von HYPERHYPER.
Hier werden schlicht Namen berühmter DJs aufgezählt. Aber: Das ist doch immerhin eine unverwechselbare Idee (die Genannten waren allerdings in der Regel not amused). Es gibt tatsächlich auch eine Bridge (3’10’’– 3’58’’), mit Vocoder und dem altbekannten Pendel zwischen I. und VI. Ton (gis und e); von »Harmonik« kann, da es jeweils nur 2 Töne sind, kaum die Rede sein.
Die Massensuggestion funktioniert. Einfachste Elemente werden, immerhin, als Ohrwürmer inszeniert. Besonders ärgerlich: Diese manipulierende Selbst-Feier ist völlig vorhersehbar – aber die Manipulierten finden’s »geil« (häufigstes Wert-Kriterium in Scooter-Blogs).
Schiller/Lang Lang: TIME FOR DREAMS (2008)
– http://www.clipfish.de/video/2544259/schiller-feat-lang-lang-time-for-dreams-live/
Was erwartet uns Hörer?
1. ein rein instrumentales Stück, 2. ein »Wunderpianist«, 3. ein Pasticcio (eine »Pastete« mit viel Resteverwertung) aus dem Genre »gehobene Unterhaltungsmusik«. Für die klangwerdenden Träume ist der Synthie-Klangdesigner Schiller zuständig; ihm zur Seite Lang Lang: vgl. S. 92.
Was vom Charakter her eine Intro sein könnte, das ist schon der Hauptgedanke des A-Teils (0’00’’– 0’33’’).
All die Klänge werden von nur zwei Personen erzeugt. Das melodisch-harmonische Modell in a-Moll kommt aus dem Flamenco: a-Moll – G-Dur – F-Dur; statt des jetzt zu erwartenden E-Dur kommt aber wieder a-Moll. Dieser »turnaround« wird individualisiert und rhythmisch »verpopt«.
Es folgt ein kontrastierender B-Teil mit neuem Motiv und neuen Harmonien; er ist viel länger ausgesponnen als der A-Teil.
Im B-Teil (0’32’’– 0’50’’) gibt es eine kleine individuelle rhythmischen Besonderheit: Die acht Beats von zwei 4/4-Takten werden nicht, wie gewohnt, in 4 + 4, sondern in Latin-inspirierte 3 + 3 + 2 aufgeteilt. Dieser Teil mündet in eine Überleitung (1’08’’– 1’49’’, Klangfläche, Fernost-Assoziation, aufrauschende Sample-Harfen, virtuose Klavier-Kadenz).
In der Reprise (ab 1’49’’) wird die Hörerwartung, dass der A-Teil irgendwann ja einmal wieder kommen muss, erfüllt (»klassische Reprise«); hier werden sogar A und B traulich vereint.
Die schöne Idee droht in superkitschiger Klangsauce ersäuft zu werden, aber immerhin: Das Stück endet leise mit dem poetischen ersten Gedanken.
Das ist immer am Rande des seichten Kitsches, des hohlen Bombasts und der leeren Virtuosität – und trotzdem: Es gibt schöne und anrührende Momente. Wie im richtigen Leben.
Arcade Fire SUBURBAN WAR (2010)
– http://www.youtube.com/watch?v=PNLeaQmePdA
Zwischen Experiment und Bombast – erfüllt der Song aus dem neuen Album solche Klischee-Erwartungen an Arcade Fire? Welcher Vorort-Krieg ist hier beschrieben?
In der Intro (0’00’’– 0’21’’) hören wir einen »Basso ostinato« in halben Noten: //:D-D-E/F-F-E ://; dazu eine beibehaltene Gitarren-Figur in »geraden« Achteln mit einem permanenten Pendeln zwischen d-Moll und F-Dur, dazwischen ein vermittelnder C-Dur-Sextakkord (C/E).
Statt des »normalen« 4/4-Taktes von Rock und Pop erklingt hier ein ungewöhnlicher 6/4-Takt, der zugleich als 3 x 2/4 gehört werden kann. Alle Elemente werden im gesamten Song beibehalten und variiert.
In der ersten Strophe (0’21’’– 0’52’’) hat die erzählende Stimme, gestützt auf die Intro-Figuren, eine enge melodische Kurve, immer vom Ton f ausgehend. Zum Text: Soziale Verhältnisse werden musikalisch interpretiert: Die Musik selbst teilt die Menschen in verschiedene »tribes«; die protestierenden »Kriegsführer« lassen die suburbs hinter sich.
Der nächste Formteil (1’58’’– 2’25’’) wirkt wie ein Chorus, ist aber ein Mittelteil; es gibt eine neue Harmonik (Pendel F-Dur-a-Moll 9 ). Die durchgehenden Achtel erscheinen jetzt als hämmernde Tonrepetitionen. »Die Nächte sind warm – ich lebte im Schatten deines Songs.«
In der kurzen Bridge (2’22’’– 2’40’’) erklingen begleitende Chorstimmen – als würde die Vergangenheit herbeischweben.
Nach der Strophenvariante (der Krieg gegen die »Vorstadt in uns« kann nicht gewonnen werden) ein Bruch: neues rasches Tempo, neuer Takt (4/4), neue Haltung. Was diesen Bruch überbrückt, was den Song trotz des Kontrastes zusammenhält, ist das Bass-Ostinato (ab 3’14’’).
Wir
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