Der Musikversteher
Hemdchen kurz, aber immer fein hoch zu heben hatte, für den Show-Act mit den Plastik-Sterntalern. Und wenn sie nicht wieder zu den Sternlein an den Kurzflaschen zurückgefunden hat, dann hebt sie es noch heute.
Björk: ISOBEL (1995)
– http://www.youtube.com/watch?v=HJtESMryu7E (live im Royal Opera House)
Von den It-Girls nun also zu den Ich-Frauen. Ihre Verweigerungshaltung gegenüber dem »Kleinster-Nenner-Mainstream-Kommerzpop« ist seit den frühen neunziger Jahren weltweit so akzeptiert worden, dass die Isländerin Björk damit zum Markenzeichen für erfolgreiche Unabhängigkeit werden konnte. Exquisite Videos, die Zusammenarbeit mit sehr unterschiedlichen hervorragenden Musikern und ihre Mitwirkung an zahlreichen Filmen als Schauspielerin – anders als in der Musik dort ohne besondere Ausbildung – führten zu einem Grad an Bekanntheit, dessen Resultat die üblichen lästigen bis bedrohlichen Konflikte mit den Medienvertretern waren. Dass Björk nicht nur als Sängerin und Songwriterin musikalisch erfolgreich ist, sondern auch im Genre Filmmusik produktiv ist, rundet das Bild der selbstbestimmten Künstlerin ab.
Zu ISOBEL (vom Album Post ): Neben den komplexen orchestralen Partien zeigen die gesungenen Abschnitte eine erstaunliche Beschränkung. Nur eine harmonische Stufe wird ausgebreitet, das aber in sehr differenzierten Facetten (besonders »dorisches« und »melodisches« h-Moll) So ist auf engem Raum ein Reichtum entfaltet, der bei aller Vielfalt gleichzeitig hypnotische Wirkungen erzielt. Besonders die Tatsache, dass Björk rhythmisch frei auf den durch die Instrumente vorgegebenen Beats, Offbeats, Takten, Taktgruppen »schwimmt«, also nur sehr selten »in time« ist, gibt dem Ganzen eine irritierende und zugleich irisierende Ungenauigkeit. Sie ist dem »sfumato« in der Malerei ähnlich – wie in den Videobildern legt sich ein surrealistischer musikalischer Schleier über die Szenerie, und dennoch ist die Ungenauigkeit genau kalkuliert. ISOBEL ist ein weibliches »Naturwesen«, das aber eine völlig künstliche Welt erschafft, nur sich selbst verpflichtet, ohne leere moralische gesellschaftliche Restriktionen.
Die Behauptung, dass ISOBEL von einer Komposition des amerikanischen Avantgardisten John Cage beeinflusst sei, THE WONDERFUL WIDOW OF EIGHTEEN SPRINGS (1942), Text aus Finnegans Wake (James Joyce), kann ich – abgesehenvom identischen Frauennamen, der alttestamentarischen aufrührerischen Jezebel nachgebildet – weder konzeptionell noch musikalisch nachvollziehen.
Joan As Police Woman: THE MAGIC (2011)
– http://www.youtube.com/watch?v=oQIS-zuW30I
Joan Wasser ist eine amerikanische Sängerin/Songwriterin mit »klassischem« Hintergrund (Violinistin), die schon in vielen Gruppen mitgewirkt hatte, bevor sie die eigene Kreativität entdeckte und dabei über ein breites Spektrum an Möglichkeiten verfügt.
In Intro + Strophe 1 (0’00’’– 0’31’’) haben wir rasches Tempo, gerade Achtel mit charakteristischem Offbeat auf dem jeweiligen vierten Achtel (Akkord-Spitzenton) plus Pause. F-Moll-b-Moll-Pendelharmonik; später noch zusätzliche Harmonien (Des – As – C 7 )
Die Stimme agiert mit den strophentypischen erzählenden Tonrepetitionen; später aber – für eine Strophe – erstaunlich viel melodische Bewegung.
Eine Frau auf der Suche nach dem Ich. Der Prechorus entwirft das Bild des Spiegels mit einer »wilden Seite dahinter«. Im Chorus erklingt dann die Hookline: »I’m looking for the Magic« – die Befreiung aus einem Labyrinth (0’31’’ – 1’05’’).
Joan Wasser in der hohen Kopfstimme, gleichzeitig oktaviert; dann wird ihre Stimme noch kontrapunktisch zu Chorstimmen vervielfacht. Auffällig: die Fill-in-Figurationen der ganz traditionellen Hammondorgel.
Wir hören also eine ganz normale Strophe-Prechorus-Chorus-Folge eines Popsongs; der sehr poetische Text wird in Strophe 2 sogar philosophisch und zitiert Thomas Hobbes’ allmächtiges Staats-Ungeheuer, den »Leviathan«.
Endlich wird eine ausgedehnte vokal-instrumentale Bridge (2’16’’– 2’47’’) erreicht, mit Klangflächen, mit neuen Sounds (auch Geräuschhaftem und Glissandi), neuen Harmonien; besondersauffällig die »stachlige« und ausgedehnte Vorhaltsdissonanz as-g über C 7 .
Als Coda (ab 2’52’’) dann eine Mischung aus Elementen der Intro, der Strophe, des Prechorus und des Chorus. Verdichtung der kontrapunktisch vervielfachten Stimmen.
Grundaussagen: »I’m
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