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Der Musikversteher

Der Musikversteher

Titel: Der Musikversteher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hartmut Fladt
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Musikhochschule gibt es mindestens fünf Klavier-Studierende, die so gut sind wie er oder sogar besser.
    David Garrett überzeugte zwölfjährig in Berlin als geigendes Wunderkind. Heute, mit 32, ist er – immer noch ein Wunderkind, im Guinness-Buch der Rekorde mit dem schnellsten »Hummelflug« (einem Stück des russischen Komponisten Rimski-Korsakow) aller Zeiten verzeichnet, bis er von Ben Lee um eine Sekunde geschlagen wurde. (Diesen Namen müssen Sie sich nicht merken. Jede Maschine kann’s schneller. Neulich hörte ich Lang Lang mit einem Hummel-Sturzflug als Kamikaze-Zugabe nach Beethovens 3. Klavierkonzert; sehr geschmackvoll nach diesem Beethoven, aber der Saal tobte). Übrigens habe ich gar nichts gegen die Crossover-Projekte von David Garrett. Das ist ein eigenes Genre, und das beherrscht er virtuos, genauso wie den Dreitagebart. Nur Bach oder Brahms sollte er nicht spielen. Aber jetzt korrigiere ich mich: Seine Version des 5. Ungarischen Tanzes von Johannes Brahms ist nicht nur akzeptabel, sondern macht in ihrer Virtuosität auch Spaß.
    – http://www.youtube.com/watch?v=07WLB584I5Q&feature=related
    Besonders schön wird es – auch im Sinne der Kleiderordnung und des demonstrierten Musikgeschmacks –, wenn »Klassikstars« zu »Popstars« mutieren, wie z. B. vor einiger Zeit der Tenor Peter Hofmann oder »Wunderpianist« Lang Lang und »Teufelsgeiger« David Garrett. Die Liebe des Baritons Thomas Quasthoff zum gepflegten Kommerz-Jazz ist ehrenwert, aberwenn er die Standards dann »schön« singt, geht alles Charakteristische zum Teufel.
    Wenn – umgekehrt – »Popstars« das Genre wechseln und (wie Sting) John Dowland interpretieren (einen englischen Komponisten um 1600) oder mit »The Secret Marriage« ein Lied aus dem Hollywood-Liederbuch von Hanns Eisler aus den 1940er Jahren adaptieren (»covern«), dann können diese Interpretationen sogar den Stücken guttun, weil sie andere Aspekte hervorheben als die genrespezifischen Interpreten. Eine Analyse der Eisler-Adaption von Sting folgt auf S. 184.
Zwei Fundstücke aus der Pop- und Rock(?)musik
    Queen BOHEMIAN RHAPSODY (1975)
    – http://www.youtube.com/watch?v=fJ9rUzIMcZQ&ob=av2e
    Das ist ein Stück intelligenter postmoderner Popkultur gegen alle Prognosen der Marketingstrategen, der Plattenbosse, sogar der Rundfunkanstalten; man prognostizierte: viel zu lang, viel zu kompliziert, viel zu viel »Bildungsmusik«, und schon dieser Titel! Schwankend zwischen Giacomo Puccinis Oper La Bohème und »böhmisch«, anspielend auf die Tradition der Rhapsodien des 19. und 20. Jahrhunderts (ungarisch, rumänisch, hebräisch), in denen sehr heterogenes musikalisches Material gereiht wird, bei Freddie Mercury sogar ohne den poptypischen Refrain bzw. Chorus. Und dann wurde dieses Stück die Nr. 1 der Charts, und das sogar doppelt. Mich freut so etwas aus tiefstem Herzen.
    Uns erwartet eine Introduktion, erst a cappella, dann mit Klavier; frühe Vielspurtechnik (0 –0’55’’). Dann folgt die große Solo-Erzählung mit Klavier; die Pophörer sagen: Aha, Balladentypus. Stimmt. Die Jazzspezialisten sagen: Aha, 1625-Kadenz. Stimmt (vgl. den Schluss im »Kleinen Blues- und Jazz-Refugium«, S. 99 ff.). Aber natürlich gibt es diese Kadenz schon im 17. Jahrhundert. Stimmt auch. Der Titel des Albums, in dem die BOHEMIAN RHAPSODY erschien, sollte auch hier ernstgenommen werden: A Night at the Opera . Das emphatische »Mama« verweist auf das Finale der Oper Cavalleria Rusticana von Mascagni; wie bei Freddie Mercury ist auch dort der »Mama« singende Held (aber als Opfer) in einen tödlichen Konflikt verwickelt – nicht mit der Schusswaffe, damals mit dem Messer. Und wenn’s den Helden schlecht geht oder sie nicht büßen wollen oder sterben müssen oder sterben wollen, dann rufen sie bzw. singen sie »Mama«. Und der Melodietypus dieser getragenen, balladenhaften Erzählung über der 1625-Kadenz ist die italienische »melodia lunga«, die lang gezogene Melodie etwa bei Bellini und dem frühen Verdi.
    Am Beginn der zweiten Strophe (0’53’’– 2’) leitet ein gekonntes Gitarrensolo den radikalen Wechsel ein: Jetzt kommt eine echte, wunderbar ironische Opernszene, mit allem Inventar, Soli, Chöre; Scaramouche tritt auf, Held der italienischen Commedia dell’arte, Blitz, Donner, Galileo, Figaro Magnifico, rasante Schnitte in der Melodiebildung und der Harmonik, komplexe Taktwechsel – und wieder: I’m just a poor boy . Und dann hören wir etwas, was

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