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Der Musikversteher

Der Musikversteher

Titel: Der Musikversteher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hartmut Fladt
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damals zwar fremd, aber 1975 noch lange nicht so provokativ war wie heute: Bismillah – der Anfang des Korans; und die Zeile »Beelzebub hat einen Teufel für mich bereitgestellt« (2’40’’– 4’15’’).
    Auf den nächsten Übergang warten die Fans sehnsüchtig: Endlich kommt die Hardrockabteilung mit Klanggewittern und mit komplexen ternären Rhythmen, sophisticated und zugleich mit wunderbarem »drive«, sehr virtuos dargeboten (4’10’’– 4’55’’ Übergang zum erst pompösen, dann poetisch-zurückhaltenden Epilog).
    Fazit: Eine fast verwirrende Vielfalt an Grenzüberschreitungen mit hohem Wiedererkennungswert und hohem Spaßfaktor – und in dieser Vielfalt beleuchten sich die einzelnen grenzüberschreitenden Elemente wechselseitig. György Ligeti HUNGARIAN ROCK MUSIC (1978)
    – http://www.youtube.com/watch?v=0abSzGuTFH8&feature=related
    Was um Himmels willen ist an diesem Cembalo-Stück aus Ligetis (auch wenn er dieses Etikett für sich ablehnte) »Postmoderne«-Phase »Rockmusik«? Zu hören ist eine Chaconne für zweimanualiges Cembalo mit/ohne Lautenzug: ein »verrücktes« Ostinato aus – in sich – tonalen Segmenten, die aber nichttonal geordnet sind; sich wiederholend im rasenden 9/8-Takt, als Variante des asymmetrischen türkischen Aksak, des Hinke-Rhythmus komponiert (4+3+2 Achtel; die Achtel-Gruppen werden immer kleiner). Über dieser permanenten Schleife erklingen immer virtuosere Variationen der rechten Hand mit »ungarisierenden« Rhythmen, lebhaft erinnernd an »normale« Synkopen und Offbeats, aber ins Aberwitzige getrieben. Und als dramaturgische Höhepunkte erklingen Akkorde »rechts« im Rhythmus der linken Hand, geräuschhaft-»schmutzig« – und das »rockt« bis fast ins Delirium, bis es umschlägt in ein ruhiges, barockisierendes instrumentales Rezitativ. Und es endet mit einer völlig unverfremdeten Blues-Kadenz: Es 7  – B-Dur. Avantgarde und Rock? Aber ja.
    Unter der Adresse http://www.youtube.com/watch?v=vDoR_Q75duI können Sie eine improvisatorische Paraphrase des Stücks für 2 (präparierte) Klaviere hören, langsamer, aber mit deutlich höherer rhythmischer Klarheit.
Kleines Blues- und Jazz-Refugium
    Zu Beginn dieses Kapitels war bereits die Rede von Blues und Jazz. Und da finden wir ein buntes Grenzüberschreiten in alle Richtungen: Normalerweise wissen wir, dass Cakewalk, Ragtime, Blues, Jazz ihren Weg in verschiedene Formen von »E-Musik« gefunden haben, bei Claude Debussy, Maurice Ravel, Igor Strawinsky, Paul Hindemith, Dmitri Schostakowitsch etc. Umgekehrt hören die Jazzer in der Regel gar nicht gern, dass alle Klangtypen und alle Klangverbindungen des Jazz (wie sie sich seit den späten zwanziger Jahren etabliert haben) in der französischen und der russischen Musik um 1905 längst existieren,also von dort »importiert« wurden, auch die »abgefahrenen« Dinge aus dem Bebop und sogar Prinzipien des modalen Jazz der sechziger und siebziger Jahre des 20. Jahrhunderts.
    Blues – das ist die produktive Grenzüberschreitung von originär »schwarzer« Sing- und Artikulationsweise mit ihren charakteristischen »Blue Notes« auf der einen Seite und »weißer« Harmonik mit den Stufen I, IV und V auf der anderen (die lernten die Sklaven in der Kirche, durch die Militärmusik und in den Kneipen/Bordellen kennen). Mit dem Re-Import des Blues zu »Rhythm’n’Blues« (als unmittelbarem Vorläufer des Rock’n’ Roll) zu den »weißen« Interpreten wie Elvis Presley und Bill Haley gab es die nächste Grenzüberschreitung, die in den rassistisch-konservativen USA der frühen fünfziger Jahre besonders provokativ war – auch ohne rebellische bzw. sexuell anzügliche Attitüden, wie sie etwa beim frühen Elvis (»The Pelvis«) zum Markenzeichen wurden.
    Der Weg von Blues zu Rhythm’n’ Blues und zu Rock’n’ Roll ist im Übrigen viel folgerichtiger und direkter als der vom Blues zum Jazz. Es ist ein verbreitetes populäres Missverständnis, dass der Blues ein direkter »Vorläufer« des Jazz sei. Wenn man in den vielen hundert in den verschiedenen »Real-Books« und ihren Ablegern gesammelten Jazz-Standards einmal eine auch nur flüchtige Statistik macht, dann sind Blues-nahe Stücke eine radikale Minderheit. Ja, sie sind so selten, dass in der Regel sogar Titel wie »St. Louis Blues«, »Basin Street Blues«, »Bluesette«, »Blues for Alice« diesen Ausnahme-Zustand signalisieren.
    Was aber auf jeden Fall Blues-geprägt im Jazz ist: Blue Notes,

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