Der Musikversteher
MICHELLE und bei zahlreichen Liedern von Franz Schubert – zwischen Dur und Moll so changiert wird, dass die Moll-Eintrübungen sich wie ein sanfter Schatten auf die musikalische Szenerie legen.
Danke, Beatles, Danke, George Martin. Hier hat Ennio Morricone für seine Filmmusiken unendlich viel gelernt. Was aber so anrührt, ist die dargestellte, die reflektierte Einfalt. In der schwingt immer unsere Hoffnung mit, dass dieser »Fool on the hill« nicht angekränkelt ist von dem berechnenden Schlechten dieser Welt, nicht angekränkelt von allem mit Intelligenz organisiertem Mord und Totschlag und Ausbeutung. Das ist wie im Märchen – die Sehnsucht danach, es könnte vielleicht doch alles gut werden.
Nächster Punkt: die Dummheit, die es nicht besser weiß, die also unschuldig-naiv ist – der Volksmund nennt das auch herzensgute Dummheit. Aber: Wenn Leute, die es eigentlich besser wissen sollten, ihre Klientel planmäßig für dumm verkaufen, dann ist das (in der Musik genauso wie in der Politik) von höchstem Übel. Dazu ein Interview mit Bob Geldof:
»Blues ist, wenn dein Innerstes singt. Meine Schwester nahm mich zu Konzerten von Dylan, den Stones und den Beatles mit. Ich mochte die Stones am meisten, die Beatles waren eine Boyband für Mädchen, Dylan war für Studenten. Aber die Stones waren das Richtige für Jungs wie mich. Die wirkten immer so, als seien sie einfach mit ihren ganz normalen Klamotten auf die Bühne gelaufen, das gefiel mir. Und wie laut die waren!« 33
Kein Wort über Musik (immerhin: laut, das gefiel ihm), aber alles über Sozialverhalten und Definition über Image. Das ist – leider – normal, doch dass auch ein Musiker so redet, ist ein Armutszeugnis. Aber es geht noch weiter.
» – Wie kommen Sie an neue Musik?
– In London höre ich die Alternative Music Station, aber nicht, weil ich ein groovy dad sein möchte. Am meisten fasziniert mich: Musik kann noch so neu sein, es sind immer dieselbendrei Akkorde, gepaart mit einer individuellen Empfindsamkeit. Ich weiß sofort: Das ist Müll, das ist Müll, das ist gut.
– Zum Beispiel?
– Die letzten Aha-Erlebnisse hatte ich bei Nirvana, Amy Winehouse, den Arctic Monkeys und den White Stripes.
– Das ist auch schon wieder eine ganze Weile her.
– Ja, ich weiß. Seitdem gab es nichts.«
Bei den Songs der genannten Gruppen und Interpreten (die ja nur manchmal auch die Komponisten und Texter der Stücke sind) dürfte es sehr schwerfallen, jeweils »dieselben drei Akkorde« zu identifizieren. Genau das unterscheidet die meisten der Genannten vom Mainstream oder etwa unseren volkstümlichen Musikanten, bei denen es in der Regel die immer gleichen zwei Akkorde sind. Nirvana hatte zwar die Grunge-Attitüde, benutzte aber ziemlich abgefahrene modale und polymodale Klänge und Klangverbindungen. Leider wissen wir bei Bob Geldof nicht, welche drei Akkorde er denn überhaupt meint. Vielleicht weiß er es selbst nicht. Grundsätzlich: Die Zahl der benutzten Akkorde sagt gar nichts aus über musikalische Qualität. Der schon genannte LOSER von Beck kommt mit einem einzigen Akkord aus und ist äußerst abwechslungsreich und differenziert. Bei der Aussage von Geldof mischt sich offensichtlich die Unfähigkeit, Musik hörend zu erkennen, mit einer allgemeinen Ignoranz und unbeirrbarer Intentionalität der Werturteile. Wunderbar passt hier das Wilhelm-Busch-Motto »weil nicht sein kann, was nicht sein darf«. Motto: »Ich will, dass es immer die gleichen drei Akkorde sind, also ist das auch so. Egal, was da wirklich erklingt.«
Bob Geldof nannte Namensvetter Bob Dylan, bei dem ich meist fassungslos stehe vor dem Widerspruch zwischen großartigen, nobelpreiswürdigen Texten und einer Musik, die oft zum Transportmittel für den Text degradiert wird. Was Dylan in den Texten nie zulassen würde, eine Reihung und permanente Wiederholung von Gleichgültigkeiten und platten Klischees – in der Musik geschieht das, auch in einem seiner berühmtestenStücke, KNOCKIN’ ON HEAVEN’S DOOR (1973). Eine musikalische Gebetsmühle mit dem immergleichen Pattern G (I), D (V), a-Moll (ii). Ein Hauch Individualisierung ergibt sich dadurch, dass die »normale« Harmoniefolge ii – V hier vertauscht ist. Immerhin, das ist musikalische Vergleichgültigung auf einem hohem Niveau, das allerdings fast ausschließlich durch den Text markiert ist. Im zweiten Teil dieses Buches werde ich eine genauere Analyse eines weiteren Dylan-Songs (THUNDER ON THE
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