Der Musikversteher
Sänger, sind fest entschlossen, das Hab und Gut unsrer verehrten Großmutter, insbesondere ihre Immobilien, zu Gelde zu machen und die so gewonnene Summe in spirituösen Getränken anzulegen.‹ Wie dies –? Das kleine Lied enthält klipp und klar die augenblickliche volkswirtschaftliche Lage: Wir leben von der Substanz.«
Zitatende. Hören wir, wie Omas Häuschen musikalisch versoffen wird:
– http://www.youtube.com/watch?NR=1&v=YGPykOYNg0M .
Anmerkung zur Musik. Wir Kinder sangen in den späten fünfziger Jahren dieses von unseren Großeltern überkommene Lied mit einem neuen Text: »Unsre Oma fährt im Hühnerstall Motorrad«, oder: »Unsre Oma hat ’n Bandwurm, der gibt Pfötchen«. Was sagt uns die Musik? Sie zitiert die freudige große Auftaktsexte aus Mozarts »Zauberflöte«: »Dies Bildnis ist be…«. Das Abbrechen vor »… zaubernd schön« ist pädagogisch wertvoll, denn alle Anfangstöne sind bis dahin identisch mit: »Wir versaufen unser …« Und dann wird, raffinierterweise, die Tonfolge gleich einen Ton tiefer wiederholt, also »sequenziert«: »Oma sein klein« – und das, was da versoffen wird, erhält entsprechende musikalische Hervorhebung, indem die Notenwerte stark vergrößert werden, und das auf der allbekannten Rufterz: »Hoooooois – chen«. Da erblasst Wolfgang Amadé posthum vor Neid.
Robert Steidl, so heißt der völlig vergessene Komponist, der aber durch diese Oma vom Mantel der Unsterblichkeit sanft gestreift wurde.
Zur Dummheit gehört die Idiotie. Was ist, altgriechisch, ein »idiotes«? Ein »Privatmensch«, der am öffentlichen Leben entweder keinen Anteil haben durfte oder haben wollte. Später wurde daraus der Dummkopf, der Depp oder jemand mit geringem Bildungsgrad. Natürlich muss Nicht-Bildung nichts mit Dummheit zu tun haben. Das wäre ein populäres Vorurteil der Gebildeten. Und, schlicht gesagt, die Dummen unter den Gebildeten (oder, schlimmer, die Dummen unter den Halbgebildeten) haben in der Geschichte der Menschheit das größte Unheil angerichtet. Man denke an Mussolini, Hitler, Goebbels, Stalin.
Apropos Stalin: Musik kann dumm komponiert sein, Texte können dumm sein, Musik kann dumm interpretiert werden, aber dumme Musik kann auch klug, ironisch und satirisch dargestellt werden, sie kann »zur Kenntlichkeit verzerrt« werden, wie Tucholsky es so schön nannte. Und wenn diktatorische Dummheit und die Banalität des Bösen in der Musik aufgespießt werden, haben das Diktatoren in der Regel nicht besonders gern und reagieren mit entsprechenden Maßnahmen: mit Zensur, mit Verboten, mit Gulag, Hinrichtungen.
Demonstrieren möchte ich es an einer antibürokratischen, antidiktatorischen POLKA aus dem Ballett Das Goldene Zeitalter von Dmitrij Schostakowitsch (1927–1930). Ankündigungssignale wie im Zirkus (Introduktion) werden schief und in grotesker Instrumentation gekreischt, rhythmische Versatzstücke, Umpa-umpa-Begleitmuster aus banalen Normal-Polkas werden verzerrt, und wenn das Xylophon die Melodie dengelt, liegen die entscheidenden Töne immer haarscharf neben den »korrekten«. Außer der satirischen Groteske ist aber auch immer wieder das Gefährliche der Banalität des Bösen zu hören.
– http://www.youtube.com/watch?v=0z4MfzSdNkI&feature=related
In den Gesprächen mit Hans Bunge ( Fragen Sie mehr über Brecht ) beantwortete Hanns Eisler auch einige Fragen zur Dummheit in der Musik:
Ist nicht schlechte Musik immer dumm?
»Nein. Schlechte Musik kann verkommen sein, aber sie muss eine niedrige Sinnfälligkeit haben, um bestehen zu können.«
Verstehen Sie unter schlechter Musik die sogenannte platte Tanz- und Unterhaltungsmusik?
»Ja, auch. Sie ist um so gefährlicher, je mehr sie kommerzialisiert wird.«
Und die halten Sie nicht für dumm?
»Gefährliche Dinge sind leider meistens nicht dumm.« 31
Eine spezifische Ausprägung der musikalischen Dummheit ist der Kitsch. Kitsch ist die künstliche Kunst des Als-ob. Abgestandene Klischees werden reproduziert, als ob sie authentisch seien, große Anliegen werden so in Zuckerguss verpackt, dass sie niemandem mehr weh tun. Die große Geste überdeckt die Hohlheit. Am weitesten verbreitet ist der Kitsch, selbstverständlich, als Liebeskitsch . Besonders für das Genre »Schlager« ist Liebeskitsch das Lebenselixier. Aber auch in der Popmusik wird das Blaue vom Himmel heruntergelogen, wird die Kitschkante mühelos überschritten, mit entsprechenden Abstürzen. ER GEHÖRT ZU MIR (Marianne
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