Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Musikversteher

Der Musikversteher

Titel: Der Musikversteher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hartmut Fladt
Vom Netzwerk:
NEED IS LOVE und die freie Adaption eines chromatischen Lamento-Basses in f-Moll (wie in Bachs Kantate Weinen, Klagen) in MICHELLE.
    Bach und andere Musik des »klassischen Erbes« haben Eingang gefunden in die Rezeption durch kleinbürgerliche englische Familien wie die Lennons und McCartneys. Jede Form des musikalischen Hörens, und sei sie scheinbar noch so oberflächlich, hinterlässt bei musikalisch Hochbegabten wie John und Paul ihre Spuren; da wurde und wird immer weiter ein spezifisch sinnliches Wissen akkumuliert. Das geschah primär durchs Medium Rundfunk, später ebenso durch das Fernsehen, auch durch den Musikunterricht (obwohl da, wie wir alle wissen, für den »Normalschüler« oft zahlreiche Sperrmechanismen wirksam sind) und den Instrumentalunterricht.
    Sehr aufschlussreich hier das Zitat von Sting: »Mein (…) Musiklehrer war die BBC. Die sendete damals nur ein einziges Musikprogramm, aber das war sehr vielfältig. Zuerst Beethovens Fünfte und gleich darauf die Beatles; schade, dass es heute nur noch Spartenkanäle gibt.« 41
    Für Kids von heute spielt die Werbung eine erstaunliche Rolle bei der musikalischen Sozialisation: »das ist doch die Musik von dieser Versicherung« – ja, das ist Eric Satie, GYMNOPÉDIE NR. 1; »das von dieser Bank« – ja, Claude Debussys Prélude DES PAS SUR LA NEIGE; »und die Benzinwerbung mitdem Autoballett im Sand« – ja, das ist von Dmitri Schostakowitsch, aus seiner JAZZ-SUITE NR. 1.
    Sehr schön in diesem Zusammenhang auch ein weiteres Sting-Zitat aus dem GEO-Interview, ein zentrales Werk von J. S. Bach betreffend: »Unsere Kultur hat die h-Moll-Messe hervorgebracht. (…) Aber das gibt mir nicht das Recht, die Didgeridoo-Musik der australischen Ureinwohner als minderwertig zu betrachten. Wir müssen verstehen, dass andere Menschen Musik auf andere Weise machen – und dass wir davon lernen können.« 42
    Speziell bei den Beatles haben die »Brainstorming-Situationen« der Gruppe mit dem musikalisch rundum gebildeten George Martin unglaublich horizonterweiternd gewirkt, was die Offenheit gegenüber fast allen erreichbaren Arten und Genres der Musik betrifft. Martin als »fünfter Beatle« (so Paul McCartney) hat ja nicht nur ELEANOR RIGBY für Streichquartett arrangiert und unendlich viele Anregungen gegeben und als Producer für einen in der Popgeschichte einmaligen Professionalisierungsschub gesorgt; wichtig ist seine Vermittlerrolle auch zur »E-Avantgarde«. (Man höre sich darauf hin auch einmal seine Filmmusik zu YELLOW SUBMARINE genauer an!)
    George Martin gibt in seinem sehr lesenswerten Buch über die Entstehung von Sgt. Pepper an einigen Stellen Auskunft, wie solche produktiven Begegnungen mit Musik aus anderen Genres, aus anderen Kulturen, aus anderen historischen Epochen stattfinden konnten.
    »Als wären es der Einflüsse nicht längst genug, trug auch ich noch mein Scherflein zur Beatles-Musik bei. Ich schätze, es gab zwei wesentliche Faktoren, mit denen ich sie beeinflusste: Meine Ausbildung in Klassischer Musik sowie meine Liebe zu experimentellen Aufnahmetechniken.« 43
    Eine Allusion der BOURRÉE aus J. S. Bachs Lauten-Suite e-Moll, BWV 996 (um 1715) durch Paul (er und John hatten nach eigenem Bekunden oft versucht, den Satz auf der Gitarre zu realisieren) geschah in BLACKBIRD (1968). Dieser sehr poetischeAmsel-Song ist, wie McCartney in einem Rundfunkinterview 2002 sagte, symbolisch aufzufassen für die Emanzipationsbewegung »schwarzer« Südstaaten-Frauen in den USA.
    Sehr an Bach orientiert ist die »übergeordnete Zweistimmigkeit«: Zur Melodie ist der Bass als Unterstimme nicht einfach als Folge von Akkord-Stütztönen konzipiert, sondern hat selbst melodische Qualitäten. Er ist »Kontrapunkt« mit eigener Linienführung (was auf der Gitarre »klassische« Spieltechniken erfordert). Auch chromatische Zwischentöne in den auf- und absteigenden Basslinien sind »bachisch«: Paul erzeugt auf diese Weise »Leittöne«, die (zwischendominantisch) zu anderen Harmoniestufen führen. Ganz McCartney sind die Taktwechsel, die zu einem wunderbaren Schwebezustand beitragen: wir hören 3/4, 4/4 und 2/4.
    BLACKBIRD: http://www.youtube.com/watch?v=YTj7REHB5U&feature=fvsr , oder Paul allein zur Gitarre: http://www.youtube.com/watch?v=Jn-DcEjUuQw
    BOURRÉE (Bach; gespielt von A. Segovia) : http://www.youtube.com/watch?v=_0QqHzF9X9w&feature=related
    Ich bleibe bei den Beatles: A DAY IN THE LIFE (1967) aus Sgt. Pepper als Meilenstein der

Weitere Kostenlose Bücher