Der Musikversteher
Wie füllen? Die Szenerie näher beleuchten? Etwa:
Ein Hauch Udo Jürgens, viel zu viel Sinnhuberei. Wie viel Rotwein war nötig, bis die völlig sinnfreie Sinnhaftigkeit der Interjektion einer Scat-Silbe gefunden war, die noch nicht einmal zum Standardrepertoire des Scats gehört (oder dem Standardrepertoire der Normal-Interjektionen wie a-ja oder hey-jey, duu-aaah oder dub-du-ah, oh-hoooh oder uuuu-hu )?
Such-Resultat: Dam dam, Dam dam . Und dann gibt es noch ein »n« als (sehr wahrscheinlich) individuelle Zutat von Drafi Deutscher: ndam dam, ndam dam .
Hier handelt es sich um eine geniale Erfindung, die jeder, der diese Kombination von sinnloser Aussage und sinnfreier Scat-Interjektion auch nur einmal gehört hat, als Ohrwurm nicht wieder los wird. Und auch die Musik hat eine plakative, simple Sinnfälligkeit.
Ich habe es oft erlebt und erlebe es noch – gleich, in welchem Zuhörerkreis: Jemand singt »Weine nicht, wenn der Regen fällt«, und alle, alle, wie alt auch immer, fallen ein: »ndam dam, ndam dam«, wobei aber nur die echten Kenner das »n« mit artikulieren. So wird der Banalschlager im »Rock ’n’ Roll«-Gewande (so wurde das damals in Deutschland ernstlich rezipiert) zum Volkslied.
Ja, und dann kommt ja erst das, was anglizisierend Hookline genannt wird, und das reimt sich grammatikalisch ebenso falsch (Plural!) wie wiederum ungeheuer gedächtnisaffizierend. Eine Oktave höher wird mit Inbrunst intoniert:
– http://www.youtube.com/watch?v=xTnUdz6DoOQ&feature=related
Wir haben schon »heilige Kühe« (Elvis, Dylan, Jagger) geschlachtet – nun soll eine »unheilige« folgen: Der Graf hatte sich einige Zeit als Finsterling mit der Aura des Nicht-Schlagers inszeniert, sozusagen als »Schaf im Wolfspelz« (das hatten wir schon bei einigen Punkern und bei Mick Jagger).
Also sprach Der Graf von UNHEILIG: »Es ist seltsam, jahrelang haben mir die Menschen vermittelt, wie wichtig ihnenmeine Musik ist, und dann ändere ich ein wenig mein Äußeres, lasse den schwarzen Nagellack und die weißen Vampirkontaktlinsen weg, und plötzlich zählt meine Musik nicht mehr. Plötzlich sagt man: der singt jetzt kommerzielle Balladen.« 38
In diesem »Stern«-Interview von 2010 hat er, vielleicht gegen seinen Willen, viel von den Erfolgsmechanismen verstanden. Die Köche sagen: Das Auge isst mit. Stimmt. Die Musiker – besonders die der Popkulturen, zu denen selbstverständlich auch der verpopte Klassikmarkt gehört – müssen sagen:
Das Auge hört mit. Inszenierung und Image sind aufzufassenals Kategorien des Hörens. Das klingt absurd, aber die Intentionalität des Musikhörens ist derart ausgeprägt (und besonders bei musikalisch ungeschulten Hörern), dass, je nach visueller Information beim Akt des Hörens, das Gehörte unterschiedlich wahrgenommen wird.
Am deutlichsten zeigt sich das in der Filmmusik. Der grandiose Tanz des Großen Diktators Hynkel/Hitler/Charlie Chaplin mit dem letztendlich zerplatzenden Luftballon-Globus benutzt Richard Wagners Lohengrin -Musik als Zeichen von Verblendung und fast religiöser Selbstüberhebung. Aber in der tief anrührenden Schluss-Szene des Films mit der verzweifelt hoffnungsvollen Utopie, dass Menschlichkeit trotz allem möglich sei, erklingt genau diese Musik noch einmal und enthüllt so endlich ihren wahren, ihren humanen Kern.
Kleine Coda:
Die Häppchenkultur und die Sprache der Eingeweihten
Ein besonders erbärmliches Produkt der Häppchenkultur ist das »Klassik-Radio«: dumm, weil es so tut, als habe es Ansprüche. Wenn Kommerzsender dem Kommerz frönen, ist dagegen nichts einzuwenden. Aber hier: Pseudo-»Klassik« zum Kuscheln, weichgespült, verbunden mit gnadenlosem Merchandising. Piano Perlen, Chilling Cello. Wagners Alliterationen haben sich durchgesetzt. Die schönsten klassischen Melodien im modernen Pop-Gewande; sie realisieren Andersens Märchen neu: Des Kaisers neue Kleider . Real nackt, und alle ungedeckten Defizite gnadenlos offengelegt.
»Kunst« hat immer den Doppel-Aspekt:
das altmodisch Autonom-Hehre – die wahre Kunst
das knallhart Pragmatische – die Ware Kunst.
Dabei ist, nicht erst seit Erfindung des Kapitalismus, »Kunst als Ware« ein exzessiver Motor für das, was man abstrakt als »Fortschritt« bezeichnet: die Entwicklung hin zu Neuem, zu Unverwechselbarem, mit dem sich Künstlerpersönlichkeiten gegenüberanderen profilierten. Das wird für den Musikmarkt seit dem 18. Jahrhundert extrem wichtig.
In der Geschichte
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